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Werkstattgespräch: Ist das scharfe Schwert zu zweischneidig? – Zur Diskussion um den patentrechtlichen Unterlassungsanspruch

CIP Werkstattgespräche

Werkstattgespräch, 5. Juni 2019, 18 Uhr, Haus der Universität

Ist das scharfe Schwert zu zweischneidig? – Zur aktuellen Diskussion um den patentrechtlichen Unterlassungsanspruch

Referent: RA Prof. Dr. Jochen Bühling, Krieger Mes & Graf v. der Groeben, Düsseldorf

Nach einleitenden Worten von Prof. Busche führte Prof. Bühling in das Thema seines Vortrages ein, indem er kurz die wesentlichen Grundlagen und allgemeinen Problempunkte des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs wie dessen Verschuldensunabhängigkeit, die Möglichkeit der Geltendmachung gegenüber jeder Person in der Lieferkette, das vermehrte Auftreten von ihre Patente nicht aktiv in ihrem Geschäftsbetrieb nutzenden Nichtpraktizierenden Einheiten (NPEs), die immer weiter zunehmende Komplexität von Produkten sowie die Durchsetzung von und die Verteidigung gegen Angriffe auf Patente (Stichwort: Trennungsprinzip) erläuterte. Ferner stellte Prof. Bühling klar, dass sich die von ihm thematisierte Problematik vornehmlich nicht im Kontext des einstweiligen Rechtsschutzes, sondern des Hauptsacheverfahrens stelle.

 

Nachdem er kurz den nationalen sowie den europäischen rechtlichen Rahmen einer Patentverletzung dargelegt hatte, zeigte Prof. Bühling anhand eines Vergleichs mit anderen europäischen sowie den Rechtsordnungen der Vereinigten Staaten, Japans sowie Chinas auf, dass der patentrechtliche Unterlassungsanspruch nach deutschem Recht nicht die häufig behauptete Besonderheit darstelle, sondern sich in ein Bild einfüge, das vor allem im übrigen kontinentaleuropäischen Rechtsraum ebenfalls vorherrsche. Unterschiede bestünden dagegen vor allem im Vergleich zum Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten, welche insofern der angloamerikanischen Tradition folgend dem Richter einen weiten Ermessensspielraum zubilligten.

 

Anschließend wandte sich Prof. Bühling den im Zusammenhang mit der Rechtsanwendung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs bestehenden Problemlagen zu. Hier kam Prof. Bühling auf die bereits eingangs erwähnte Trennung zwischen Verletzung und Rechtsbeständigkeit des Patents zurück, welche eine weitere Besonderheit des deutschen Patentrechts darstelle. Prof. Bühling wies auf die zentrale praktische Konsequenz hin, dass unterschiedliche Aspekte eines Falles bei unterschiedlichen Gerichten behandelt werden. Während das Verletzungsgericht sich vornehmlich mit der Verletzung des Patents befasse und nur nachrangig sonstige Aspekte wie die Rechtsbeständigkeit des Patents oder den Vollstreckungsschutz berücksichtige, werde die Rechtsbeständigkeit vom Bundespatentgericht (BPatG) im entsprechenden Nichtigkeitsverfahren entschieden, wobei Verletzungsfragen im Regelfall hier keine Rolle spielten. Eine "Vereinigung" beider Verfahren erfolge erst in der Berufung im Nichtigkeitsverfahren und der Revision bzw. Nichtzulassungsbeschwerde im Verletzungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Im Zuge dessen trete häufig das Phänomen der "Injunction Gap" als Folge der strengen Trennung auf, welches durch den zeitlichen Versatz zwischen Verletzungs- und Rechtsbeständigkeitsverfahren weiter verschärft werde.

 

Daran anknüpfend warf Prof. Bühling die Frage auf, was diese Probleme nun für den patentrechtlichen Unterlassungsanspruch bedeuteten.

 

Mit Blick auf standardessentielle Patente (SEPs) bestünden im Kontext des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs hierbei keine Konflikte. Die Behandlung von SEPs sei durch den EuGH für die Praxis trotz einer andauernden Diskussion in der Wissenschaft weitestgehend geklärt und müsse nun durch die nationalen Gerichte umgesetzt werden. Der EuGH habe in der Huawei-Entscheidung den Unterlassungsanspruch auch für SEPs anerkannt. Dies gelte unabhängig von der Frage, wie dieser dann durchgesetzt werden und vor allem ins Verfahren eingebracht werden könne.

Im Kontext medizinischer, vor allem pharmazeutischer Patente bestehe bei Geltendmachung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs dagegen die Gefahr von Versorgungslücken für bestimmte Indikationen oder Patientengruppen. Ein weiterer Problemaspekt seien regulatorische Anforderungen, die einem schnellen Reagieren auf einen patentrechtlichen Unterlassungsanspruch entgegenstehen könnten. Auch sozialpolitische Erwägungen seien zu berücksichtigen. Insgesamt sei aber auch für diese Fälle in Form der Zwangslizenz nach § 24 PatG eine gesetzliche Lösung vorgegeben, weshalb auch hier mit Blick auf den patentrechtlichen Unterlassungsanspruch kein Anlass zu Modifikationen, vor allem in Form einer Abschwächung, bestehe. Vielmehr drohten hier sogar Wertungswidersprüche zu § 24 PatG, welcher eine Zwangslizenz und damit eine "Öffnung" des Patentschutzes gerade nur unter engen Voraussetzungen vorsehe.

 

Prof. Bühling wandte sich anschließend den NPEs zu, für die sich die Frage stelle, ob der patentrechtliche Unterlassungsanspruch in seiner derzeitigen schutzintensiven Form diesen überhaupt zugutekommen solle. Immerhin seien NEPs nicht darauf angewiesen, sich und ihre Produkte durch den Patentschutz vor Wettbewerbern zu schützen. Dem könne allerdings entgegengehalten werden, dass es im Patentrecht – anders als etwa im Markenrecht – keinen Benutzungszwang gebe. Auch gehe ein patentrechtliches Monopol nicht zwingend mit einer marktbeherrschenden Stellung einher. Insofern könne eine Geltendmachung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs durch NPEs nicht per se als rechtsmissbräuchlich qualifiziert werden. Vielmehr blieben auch hier die allgemeinen Regeln anwendbar. Dies gelte vor allem auch vor dem Hintergrund, dass eine Einschränkung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs hier zu Folgeproblemen mit Blick auf die Identifizierung bzw. Klassifizierung als – nicht schutzwürdige – NEPs führen könne. Als Beispiele hierfür führte Prof. Bühling Universitäten und sonstige Forschungseinrichtungen an, die die Ergebnisse ihrer Forschung regelmäßig nicht selbst durch Produkte verwerteten, sondern vielmehr entsprechende Patente durch Lizenzen verwerteten. Auch diese seien im Grundsatz NEPs, an ihrer Schutzwürdigkeit könne aber nicht gezweifelt werden.

 

Die wirkliche Problematik des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs in seiner derzeitigen Form liege vielmehr in der eingangs erwähnten Fallgruppe komplexer Produkte, die eine Vielzahl von Patenten nutzen. Hier bestehe im Einzelfall die Gefahr eines Missverhältnisses zwischen dem Wert der Erfindung und dem potentiellen Schadensersatz sowie den wirtschaftlichen Folgen der Unterlassung. Dies verdeutlichte Prof. Bühling am Beispiel eines neu entwickelten Autos, dessen Elektronik sich eines kleinen technischen Patents, etwa der Beschichtung einer Platine, bediene. Werde hier ein Unterlassungsanspruch ausgesprochen, so führte dies letzten Endes dazu, dass mangels der Möglichkeit eines schnellen Umstiegs auf Alternativen das Auto nicht mehr produziert werden dürfte und bereits produzierte Autos nicht verkauft werden dürften. Dies könne gravierende wirtschaftliche Folgen haben, weshalb sich die   Frage stelle, ob dies noch die Verkörperung des Wertes des Patents betreffen könne. Solche potentiellen wirtschaftlichen Konsequenzen könnten zudem einen unverhältnismäßig hohen Vergleichsdruck aufbauen. Auch hier stelle sich allerdings die Frage, welcher Maßstab zur Bestimmung eines komplexen Produktes angelegt werden könne.

 

Anschließend wandte sich Prof. Bühling denkbaren Lösungsansätzen für die zuletzt genannte Fallgruppe der komplexen Produkte zu. Bei der Bestimmung der richtigen Lösung müsse man sich zunächst drei Vorfragen stellen: Zunächst, ob – bei genereller Betrachtung – überhaupt ein Handlungsbedarf bestehe, dann, wo genau zur Lösung angesetzt werden müsse (materiell-rechtlicher Anspruch oder Durchsetzungsebene) und zuletzt, inwiefern dies auch ein Handeln des Gesetzgebers erfordere oder ob die Lösung bereits auf der Ebene der Gesetzesanwendung zu finden sei.

 

Als ersten Lösungsansatz präsentierte Prof. Bühling eine Modifikation des materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs selbst. Hier könne man sich zunächst einen generellen Vorbehalt („kann“) vorstellen, welcher die Unbedingtheit des Anspruchs beseitige. Hierbei verwies Prof. Bühling auch auf Art. 63 Abs. 1 EPGÜ, nach dem das Gericht bei einer Patentverletzung eine Unterlassungsverfügung erlassen „kann“. Allerdings sei auch für diese Vorschrift deren genaue Reichweite noch nicht geklärt. Insgesamt zeigte sich Prof. Bühling gegenüber einer solchen „Kann“-Ergänzung skeptisch, da auch bei einer solchen Öffnung des Unterlassungsanspruchs die Entscheidung letztendlich bei einem Richter läge, wobei für dessen Entscheidung keine hinreichenden Maßstäbe vorlägen. Dies sei mit der notwendigen Rechtssicherheit nicht vereinbar.

Als weiteren Ansatz auf materiell-rechtlicher Ebene stellte Prof. Bühling dann die Einführung einer Verhältnismäßigkeitsregel vor, wie sie auch in Art. 130 Abs. 1 UMV und Art. 89 Abs. 1 GGV zu finden ist, die insofern auf entgegenstehende besondere bzw. gute Gründe abstellen. Hiergegen spreche jedoch, dass auch dieses Verhältnismäßigkeitserfordernis wiederum keine hinreichend genauen Anforderungen bereitstelle. Auch der häufig für eine solche Verhältnismäßigkeitsregel angeführte Art. 3 Abs. 2 der Durchsetzungsrichtlinie sei letztendlich kein aussagekräftiges Argument, da dieser neben der Verhältnismäßigkeit auch die Wirksamkeit  und Abschreckungswirkung der Maßnahmen voraussetze, wobei vor allem die Wirksamkeit mindestens gleichberechtigt neben der Verhältnismäßigkeit stehe.

Weitere legislatorische, systematische und praktische Folgeprobleme, die die Einführung einer Verhältnismäßigkeitsregel nach sich ziehen könnte, zeigte Prof. Bühling an einem vom Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) veröffentlichten Vorschlag zur Einführung eines § 139 Abs. 4 PatG auf. Dass zur inhaltlichen Präzisierung des Verhältnismäßigkeitsbegriffs auch nicht auf die Kriterien des US-amerikanischen Supreme Courts zurückgegriffen werden könne, ergebe sich bereits aus den systemimmanenten Differenzen zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Rechtssystem, vor allem im Hinblick auf die Rolle des Schadensersatzes. In diesem Zusammenhang hob Prof. Bühling hervor, dass eine Verhältnismäßigkeitsregel nicht zu einer Bevorzugung des Verletzers führen dürfe. Dies werde im US-amerikanischen Recht über die Abschreckungswirkung des drohenden Schadensersatzes sichergestellt, eine vergleichbare Gewährleistung könne das deutsche Recht hier nicht vermitteln.

 

Im Folgenden wandte sich Prof. Bühling denkbaren Lösungsansätzen auf verfahrensrechtlicher Ebene zu.

Hier könne zunächst im Rahmen des § 148 ZPO daran gedacht werden, den Aussetzungsmaßstab auszuweiten. Hiergegen lasse sich jedoch einwenden, dass für § 148 ZPO allein die Vorgreiflichkeit entscheidend sei und eine Differenzierung zwischen komplexen und nicht komplexen Produkten der Norm fremd sei.

Ferner könnten Maßnahmen zur Beseitigung der injunction gap in Betracht gezogen werden. Hier werde teilweise eine Änderung bzw. Reduzierung der Besetzung der Senate beim BPatG vorgeschlagen. Auch hier seien jedoch letztendlich gewisse Grenzen zu beachten. Zudem wies Prof. Bühling darauf hin, dass die notwendige personelle Verstärkung des BPatG bisher noch nicht erfolgt sei. Dies sei freilich kein Problem des Trennungsprinzips. Kritisch äußerte sich Prof. Bühling auch gegenüber dem Vorschlag, technische Richter beim Verletzungsgericht einzusetzen. Hier bestehe die dringend zu vermeidende Gefahr, dass der technische Richter die Entscheidung des Verletzungsgerichts übernehme. Eine sinnvolle Maßnahme sei dagegen eine Änderung bzw. Korrektur des § 81 Abs. 2 PatG, wobei dies auch die Gefahr berge, dass das BPatG noch zusätzlich belastet würde. Problematisch sei ferner, dass durch die notwendige Darlegung der schwerwiegenden Folgen eines Unterlassungsurteils zudem häufig besondere Geheimhaltungsinteressen berührt würden.

 

Anschließend erläuterte Prof. Bühling in Betracht kommende Lösungsansätze auf der Ebene der Durchsetzung und Vollstreckung.

Mit Blick auf die vorläufige Vollstreckbarkeit erst- und zweitinstanzlicher Entscheidungen wies Prof. Bühling auf die Möglichkeit des Vollstreckungsschutzantrags nach § 712 ZPO für den Verletzer hin, welcher jedoch häufig wegen der hohen Anforderungen an die Darlegungs- und Glaubhaftmachung nicht praktikabel sei.

Als vielversprechendsten Ansatz führte Prof. Bühling dann die Einführung einer Aufbrauch- bzw. Umstellungsfrist an. Diese sei seit der Wärmetauscher-Entscheidung des BGH auch im Patentrecht anwendbar. Hier stelle sich jedoch die Frage nach den Kriterien zur Gewährung oder Ablehnung sowie der Bestimmung der Dauer der Frist im Einzelfall. Als besonders vorteilhaft sei zu bewerten, dass diese Lösung den patentrechtlichen Unterlassungsanspruch als solchen unangetastet lasse, sodass der Patentinhaber auf diesen weiterhin ungehindert zurückgreifen könne und die Schutz- und Abschreckungswirkung unverändert aufrechterhalten werde. Die Kriterien müssten sich ebenso wie die Dauer flexibel am Einzelfall orientieren. Mit Blick auf die Dauer ließe sich danach differenzieren, wie weit die restliche Patentlaufzeit fortgeschritten ist. Zur Wärmetauscher-Entscheidung des BGH führte Prof. Bühling aus, dass in dieser zwar keine Frist gewährt worden sei. Dies sei jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach der konkreten Prozesssituation geschuldet gewesen. So hätten die Vorinstanzen die Verletzung verneint, weshalb umfangreiche Ausführungen zur besonderen Härte eines Unterlassungsurteils im Zweifel eher unterblieben seien. Da auch hier im Zweifel umfangreiche Darlegungen zur besonderen Härte der sofortigen Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs notwendig seien, könne sich auch hier ein Konflikt mit gegenläufigen Geheimhaltungsinteressen ergeben. Entsprechende Problematiken hätten jedoch im Kontext von FRAND-Entscheidungen gelöst werden können.

 

Mit Blick auf die im Titel angelegte Frage schloss Prof. Bühling seinen Vortrag mit einigen Thesen ab: Der patentrechtliche unbedingte Unterlassungsanspruch habe sich bewährt und sollte als solcher nicht aufgeweicht werden. In der Praxis könnten sich Fallkonstellationen ergeben, in denen der Unterlassungsanspruch in der herkömmlichen Weise nicht zu angemessenen Ergebnissen führe. Für diese Fälle bedürfe es eines „Sicherheitsventils“ oder „Not-Halts“. Der richtige Ansatzpunkt dafür liege in der Durchsetzung des Anspruchs und nicht in der Gewährung des Anspruchs selbst. Die Umsetzung der Abhilfemaßnahmen sei zuvorderst Sache der Gerichte. Ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe gegenwärtig allenfalls im Hinblick auf flankierende Maßnahmen. Es sei Sache der Politik, die notwendigen Ressourcen zu schaffen und die vorhandenen Ressourcen sinnvoll einzusetzen, um die effektive Rechtsdurchsetzung und dabei eine angemessene Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten zu gewährleisten.

 

An den Vortrag schloss sich eine umfassende und rege Diskussion über die präsentierten Lösungsansätze an.

Veranstaltungsdetails

05.06.2019, 18:00 Uhr - 21:00 Uhr
Ort: Haus der Universität, Schadowplatz 14, 40212 Düsseldorf
Verantwortlichkeit: