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Werkstattgespräche: Neues zum Rechtsmissbrauch im Lauterkeitsrecht (UWG)

CIP Werkstattgespräche

Referent:

RiOLG Dr. Jochen Schlingloff, Thüringisches Oberlandesgericht, Jena

Im Rahmen des zweiten Werkstattgesprächs in diesem Jahr referierte Dr. Schlingloff, Richter am Thüringer Oberlandesgericht, über neue Entwicklungen zum Rechtsmissbrauch im Lauterkeitsrecht. Das Lauterkeitsrecht, so Dr. Schlingloff einleitend, sei ein Ort für unlautere Abmahnungen geworden. Mit der BGH-Entscheidung „Fotowettbewerb“ vom 15.10.1969 (I ZR 3/68), in welcher das Gericht erstmalig entschied, dass die Kosten einer vorprozessualen Abmahnung als notwendige Aufwendungen nach den Grundsätzen der Geschäftsführungen ohne Auftrag erstattet verlangt werden können, wuchs auch das Interesse einiger Marktakteure, durch Abmahnungen schlicht Geld „zu verdienen“. Begriffe wie „Abmahnhaie“ und „Abmahnwelle“ waren geboren. Dies löste natürlich eine Diskussion über die Rechtsmissbräuchlichkeit dieses Tuns und die mögliche juristische Handhabung aus. Um einem Rechtsmissbrauch zu begegnen, entschied sich der Gesetzgeber durch den bis zum 7.7.2004 geltenden § 13 Abs. 5 UWG a.F., dass ein Anspruch auf Unterlassung nicht geltend gemacht werden konnte, wenn die Geltendmachung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich war, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu diente, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Diese Norm findet sich heute mit kleineren Änderungen - der Anwendungsbereich erstreckt sich auf Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche und bezeichnet die Geltendmachung nunmehr ausdrücklich als „unzulässig“ - in § 8 Abs. 4 UWG wieder.

Nach dieser historisch–kontextuellen Einordnung wandte sich Dr. Schlingloff der Rechtsnatur des § 8 Abs. 4 UWG zu. Die Norm wird überwiegend als prozess-rechtlicher und teilweise als materiell-rechtlicher Einwand begriffen. Nicht zuletzt aufgrund des klaren Wortlauts „Die Geltendmachung […] ist unzulässig“ schloss sich Dr. Schlingloff der herrschenden Meinung an, so dass eine Klage bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 UWG als unzulässig abzuweisen sei. In diesem Zusammenhang kam der Referent auch darauf zu sprechen, dass zum Teil erwogen wird, die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Abmahnung könne geheilt werden,  was aus Sicht des Vortragenden indessen nicht einleuchtend ist. In prozessualer Hinsicht gilt es weiterhin zu beachten, dass, sofern die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 UWG vorliegen (an dieser Stelle ist die Klagebefugnis geregelt), die Berechtigung des Anspruchstellers zur Geltendmachung des Anspruchs zunächst grundsätzlich vermutet wird. Es ist dann also Sache des Beklagten, diese Vermutung zu widerlegen. Gelingt dies, ist es wiederum Sache des Klägers darzulegen, warum kein Rechtsmissbrauch vorliegt. Problematisch ist hierbei natürlich, dass es dem Abgemahnten in der Regel schwer fällt, darzutun, dass die Abmahnung von einer rechtsmissbräuchlichen Motivation getragen ist. Insoweit ist der Betroffene, wie auch in der Folge der Richter, in der Praxis regelmäßig darauf angewiesen, möglichst viele Indizien und Begleitumstände heranzuziehen. Hier könne, so Dr. Schlingloff, unter anderem das Internet als Informationsquelle fruchtbar gemacht werden, indem es möglich sei, dort gewisse Verhaltensmuster bzw. die Häufigkeit der ausgesprochenen Abmahnungen von Marktakteuren zu dokumentieren. Natürlich sei es gewissermaßen eine Gratwanderung, zwischen der Reichweite der im Rahmen der richterlichen Zulässigkeitsprüfung erfolgenden Amtsermittlung einerseits und einer nicht mehr darunter fallenden, zu intensiven „Ausforschung“ des Sachverhalts vor der mündlichen Verhandlung andererseits abzugrenzen. Als nicht weniger problematisch erscheint der Rechtsmissbrauchstatbestand außerdem, weil sich die Mitbewerber nach der Konzeption des Lauterkeitsrechts gegenseitig kontrollieren sollen. Der Marktakteur hat somit im Grunde gerade die Aufgabe, seine Mit- bzw. Gegenspieler zu überwachen. Erfüllt er diese Aufgabe indessen (zu) engagiert, sieht er sich womöglich dem Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ausgesetzt.

Wann überschreitet der Abmahnende also die Grenze zwischen (noch) lauterer Wettbewerbskontrolle und dem rechtsmissbräuchlichen Abmahnunwesen? Der Tatbestand des § 8 Abs. 4 UWG ist offen formuliert „[…] unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere […]“ und lässt insoweit Gestaltungsspielraum für die Entwicklung von Fallgruppen, welche Dr. Schlingloff nachfolgend im Überblick vorstellte. Dabei müsse es stets um die Frage gehen, ob sachfremde Ziele als das beherrschende Motiv für die Abmahnung anzusehen sind. Besonders wichtig war dem Referenten dabei der Hinweis, dass bestimmte Verhaltensmuster und Umstände, die im Rahmen dieser Fallgruppen auftauchen, stets nur indizielle Wirkung für die Annahme tatsächlicher Rechtsmissbräuchlichkeit haben. Die Fallgruppen selbst dienen lediglich als Orientierungshilfe. Sachverhalte lassen sich oft nicht isoliert nur der einen oder anderen zuordnen.

Als erste Fallgruppe ist die Gebühren- bzw. Gewinnerzielungsabsicht zu nennen. Dabei geht es dem Abmahnenden darum, sich unter dem Vorwand der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs eine Einnahmequelle zu verschaffen. Für die Geltendmachung des Anspruchs besteht also insoweit kein wirtschaftliches oder sonstiges sachliches Interesse neben der Gebührengenerierung selbst. Als Indiz für eine solche Interessenlage kann es unter Umständen angesehen werden, wenn der  Mitbewerber extrem viele Abmahnungen einsetzt. In diesem Zusammenhang können auch fehlerhafte Textbausteine indizielle Wirkung haben. Wer zahlreiche Abmahnungen mit immer gleichen Textbausteinen, welche dann ggf. auch noch die Parteien oder den Sachverhalt offensichtlich falsch oder unvollständig wiedergeben, verwendet, mag Zweifel daran säen, ob sein Tun der ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Einzelfall entspringt. Das Fehlen eines vernünftigen Verhältnisses zur eigenen gewerblichen Tätigkeit, das für das Vorliegen einer (reinen) Gewinnerzielungsabsicht sprechen kann, ist auch anzunehmen, wenn es dem Mitbewerber offenbar gar nicht darum geht, eine Unterlassung herbeizuführen, sondern sich den Klageverzicht abkaufen zu lassen. Auch bei einer besonderen Verbundenheit des Abmahnenden mit dem beauftragten Rechtsanwalt kann sich unter Umständen die Frage stellen, ob die Abmahnung im Dienste des lauteren Wettbewerbs oder möglicherweise der Gewinnerzielung des Anwalts steht. Ferner wurde die Schädigungsabsicht, der Übergang zur Gewinnerzielungsabsicht ist freilich fließend, weil die (unberechtigte) Gewinnerzielung spiegelbildlich einen Schaden bewirkt, als Fallgruppe rechtsmissbräuchlichen Vorgehens angeführt. So etwa die sog. „Salami-Taktik“. Gemeint ist beispielsweise der Fall, dass ein Mitbewerber einen einheitlichen wettbewerbsrechtlich relevanten Sachverhalt ohne nachvollziehbaren Grund künstlich „aufdröselt“, um scheinbar verschiedene Vorwürfe in getrennten Verfahren geltend zu machen. Bei einem fliegenden Gerichtsstand kann der Verdacht einer Schädigungsabsicht erweckt werden, wenn ein Gericht angerufen wird, das möglichst weit vom Schuldner weg gelegen ist. Gleiches gilt, wenn wider besseres Wissen vielfach überhöhte Streitwerte angegeben werden oder besonders einschüchternde oder gar drohende Klauseln Anwendung finden. In einer kurzen, aus Anlass einer Zwischenfrage geführten Diskussion vertrat der Referent den Standpunkt, dass auf Grundlage der anwaltlichen Vollmacht ein solcher einschüchternder Inhalt auch dem gutgläubigen Unterlassungsgläubiger zugerechnet werden müsse. Gerade im Rahmen des Glücksspielwesens erlangt als weitere Fallgruppe das selektive Vorgehen gegen Schuldner insofern Bedeutung, als es missbräuchlich sein kann, wenn ein Verband nie Verbandsmitglieder, sondern beispielsweise ausschließlich staatliche Glücksspielunternehmen abmahnt.

Als letzte Fallgruppe wurde die Abmahn-Retourkutsche genannt. Die Abmahnung erfolgt hier als direkte Reaktion, um einen Kostenerstattungsanspruch zum Zwecke der Aufrechnung zu generieren. Auch hier, so Dr. Schlingloff, sei nicht schon per se von Rechtsmissbräuchlichkeit auszugehen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass eine Abmahnung regelmäßig von einem Motivbündel getragen sei, was es erforderlich mache, sich umfassend und unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls mit der Frage eines etwaigen missbräuchlichen Verhaltens auseinanderzusetzen. Das Werkstattgespräch wurde durch eine lebhafte Diskussion abgerundet und klang in angenehmer Atmosphäre des Schlosskellers aus. Das Zentrum für gewerblichen Rechtsschutz lädt herzlich zum nächsten Werkstattgespräch im April dieses Jahres ein.

Autor: Wiss. Mit. Jonathan Konietz

Veranstaltungsdetails

15.02.2012, 18:00 Uhr - 20:00 Uhr
Zentrum für Gewerblichen Rechtsschutz, im Rahmen der DLS
Ort: Schloss Mickeln, Blauer Salon
Verantwortlichkeit: