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Werkstattgespräch: Zur herrschenden Lehre vom Urheberrecht: Zeugnis eines überholten Rechtsverständnisses?

CIP Werkstattgespräche

Zur herrschenden Lehre vom Urheberrecht: Zeugnis eines überholten Rechtsverständnisses

Referent: Prof. Dr. Maik Wolf, FU Berlin

Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte Herr Professor Busche das Auditorium und stellte kurz den Referenten des Abends, Herrn Dr. Wolf, vor, der die Werktstattgespräche nach längerer Zeit wieder zu einem urheberrechtlichen Thema führte.

Herr Dr. Wolf ist seit 2012 Juniorprofessor für Bürgerliches Recht und Immaterialgüterrecht an der Freien Universität Berlin. In den Mittelpunkt seines Vortrags stellte der Referent die Überlegung, das Urheberrecht nicht nur als Instrumentarium zum Schutz des Urhebers zu begreifen, sondern auch als legitimationsbedürftigen Eingriff in die (Grund-) Rechte von (potenziellen) Verletzern des Urheberrechts.

Vor diesem Hintergrund beschäftigte sich der Referent zunächst mit der Naturrechtstheorie. Nimmt man ihren Standpunkt ein, bedarf das Urheberrecht keiner spezialgesetzlichen Fundierung; vielmehr bezöge der Urheberrechtsschutz seine Legitimation bereits aus überpositivistischen Erwägungen. Ob dies zutrifft und welche Auswirkungen sich hieraus für das Selbstverständnis des Urheberrechts ergeben, kann nach Auffassung des Referenten durch eine Strukturanalyse des Urheberrechts im Vergleich zu anderen Schutzsystemen erhellt werden. Unabhängig hiervon schlug Herr Dr. Wolf vor, den Inhalt des Urheberrechts (auch) von seinen Rechtsfolgen her zu erfassen.

Inwieweit ein vorgesetzliches (naturrechtliches) Verständnis des Begriffs „geistiges Eigentum“ in der Lage ist, die Konturen des Urheberrechts zu schärfen, erscheint nach Auffassung des Referenten zweifelhaft. Herr Dr. Wolf misst der darauf bezogenen Diskussion insgesamt  nur semantischen Wert zu; der Begriff des geistigen Eigentums werde zudem inflationär gebraucht. Zur Illustration griff der Referent auf die Entscheidung „Altenwohnheim II“ des BGH (BGHZ 116, 305 = GRUR 1992, 386) zurück, nach der dem Urheber die Herrschaft über sein Werk „nicht erst durch den Gesetzgeber verliehen“ wird, sondern bereits „aus der Natur der Sache, nämlich aus seinem geistigen Eigentum, das durch die positive Gesetzgebung nur seine Anerkennung und Ausgestaltung findet“, folgt. Die Literatur hat auf diese Judikatur vereinzelt mit Kritik reagiert, da durch die „naturrechtliche Dogmatisierung“ (Rehbinder, Urheberrecht, 12. Auflage 2002, Rn. 79) das Schutzrecht einer Begrenzung entzogen würde.

Um den Bogen zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Urheberrechts zu spannen, ging Herr Dr. Wolf sodann zunächst auf die privatrechtlichen Generalklauseln ein, bei deren Anwendung gegebenenfalls die Wertungen einschlägiger Grundrechte zu beachten sind. Bezogen auf das Urheberrecht verdeutlichte der Referent diesen Ansatz unter Hinweis auf die BGH-Entscheidung „GEMA-Tarif“ (BGHZ 97, 37 = GRUR 1986, 376), nach der sich der Grundsatz der Beteiligung des Urhebers am wirtschaftlichen Nutzen des Werkes aus der verfassungsrechtlichen Garantie des geistigen Eigentums ergibt. Damit wird das geistige Eigentum gleichsam verfassungsrechtlich aufgeladen.

Davon ausgehend schlug Herr Dr. Wolf eine Umorientierung im Urheberrecht vor. Sein Lösungsweg knüpft dabei an die durch Binding im Strafrecht maßgeblich entwickelte normlogische Analyse an. Für den konkreten Zusammenhang bedeutet dies, dass aus den Ansprüchen des Urheberrechts – der Referent bezog sich insoweit auf § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG (Unterlassung) und § 106 Abs. 1 UrhG (Strafe bei unerlaubter Verwertung) – ein Rückschluss auf das jeweilige Verbot erfolgt. Die als Verletzungshandlung mit entsprechender Sanktionsanordnung aufgebauten Normen enthielten zwar kein direktes Verbot, jedoch könne es aufgrund der Verbotswirkung keinen Unterschied machen, ob das Verbot direkt normiert oder durch die Sanktionswirkung impliziert werde.

Für das Urheberrecht bedeute dies, dass es bei verfassungsrechtlicher Betrachtung nicht nur dem Schutz des Urhebers diene, sondern zugleich einen Eingriff in die Grundrechte des Verletzers mit sich bringen könne. Denkbar ist ein Eingriff in die allgemeine Handlungs-, die Kunst-, Meinungs- und Berufsfreiheit. Die Wirkungen des Urheberrechts müssten damit selbst verhältnismäßig und insgesamt gerechtfertigt sein. Darüber hinaus stelle sich die Frage, welche Bedeutung der Institutsgarantie des Art. 14 GG zukomme. Jedenfalls müsse der Erwerb eines angemessenen Entgelts sichergestellt sein.

Werde diese Überlegung auf den europäischen Kontext erweitert, so handele es sich bei den  nationalen Urheberrechten der EU-Mitgliedstaaten um staatliche Maßnahmen, die unter Umständen mit der Warenverkehrsfreiheit in Konflikt gerieten und ihrerseits der Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV bedürften.

Herr Dr. Wolf zog daher die Konsequenz, dass der Gesetzgeber stets die Verhältnismäßigkeit jener Einschränkungen für die Allgemeinheit beachten müsse, die aus dem Urheberrechtsschutz resultieren. Die Rechtsprechung ihrerseits müsse das Urheberrecht verfassungskonform konkretisieren und auslegen.

Für den Rechtsanwender kommt der Referent daher zu dem Ergebnis, dass die urheberrechtliche Analyse eines Sachverhalts die Rechtsfolgen im Blick behalten müsse, statt sich zunächst isoliert mit dem Werkbegriff auseinander zu setzen. Diesbezüglich zog Herr Dr. Wolf  eine Parallele zur Wechselwirkung zwischen Schutzfähigkeit und Schutzumfang im Markenrecht. Die Bestimmung des Werkbegriffs sollte daher in Zukunft im Zusammenspiel mit dem jeweiligen Verbot gesehen werden, so der Vorschlag von Herrn Dr. Wolf. Der Werkbegriff könne allenfalls als Hilfsbegriff hinzugezogen werden. Bei der Prüfung der Urheberrechtsverletzung sollte nicht auf die schwer beweisbaren Elemente wie ästhetischer Gehalt, Spiegel der Persönlichkeit und Wahrnehmungen oder Empfindungen des Künstlers abgestellt werden. Das Rechtsstaatsprinzip fordere vielmehr nachweisbare Tatsachen, die nur in dem liegen könnten, was objektiv beschreibbar sei. Hierzu könnten je nach Werktyp beispielsweise Farben, Linienanordnung, Takt und Rhythmus gezählt werden. Probleme sieht der Referent bei dieser Abgrenzung allerdings vor allem darin, auf wessen Erfahrungshorizont diesbezüglich abzustellen ist.

Zusammenfassend stellte Herr Dr. Wolf fest, dass das Urheberrecht aufgrund seiner Ausschlusswirkung einer stetigen Rechtfertigung bedarf. Urheberrechtliche Entscheidungen müssten zur Sicherstellung eines Mindestmaßes an Rechtssicherheit auf nachprüfbare Tatsachen gestützt werden.

Im Anschluss an den Vortrag stellte sich Herr Dr. Wolf den Fragen des Auditoriums. In einer lebhaften Diskussion wurden die im Vortrag aufgeworfenen Lösungsansätze diskutiert. Hierbei ging der Referent auf spezielle Nachfragen ein und veranschaulichte die im Vortrag angesprochene Vorgehensweise zur Prüfung einer potentiellen Urheberrechtsverletzung. Anschließend zog die Diskussion einen weiten Kreis, indem das Urheberrecht allgemein und mögliche Änderungen thematisiert wurden. Hierbei wurde unter anderem die Länge der Schutzdauer in Beziehung zum grundrechtlichen Eingriff gesetzt.

WissHK. Jörn Lenz

Veranstaltungsdetails

10.06.2015, 18:00 Uhr - 20:00 Uhr
Zentrum für Gewerblichen Rechtsschutz
Ort: Haus der Universität, Raum 4a, 3. OG, Schadowplatz 14, 40212 Düsseldorf
Verantwortlichkeit: