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Werkstattgespräche: Der Streitgegenstand von Unterlassungsklagen im Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht

CIP Werkstattgespräche

Der Streitgegenstand von Unterlassungsklagen im Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht

Referent: VorsRiOLG Prof. Wilhelm Berneke,
OLG Düsseldorf - 20. Zivilsenat

 

Wiss. HK Christian Rütz, LL.M.

I. Einleitung

Einen äußerst großen Andrang interessierter Praktiker auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes verzeichnete das Werkstattgespräch „Der Streitgegenstand von Unterlassungsklagen im Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht“, zu dem das Zentrum für Gewerblichen Rechtsschutz der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im November in den grünen Salon des Schloss Mickeln eingeladen hatte. Als Referenten hatte Prof. Dr. Jan Busche, Direktor des Zentrums, den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht (20. Zivilsenat), Prof. Wilhelm Berneke, gewinnen können, dessen Veröffentlichung zum Thema in der WRP 2007, S. 579 ff., bereits einige Beachtung gefunden hatte. In seiner Begrüßung hob Prof. Dr. Busche hervor, dass es sich bei der Streitgegenstandsbestimmung um ein dogmatisch wie praktisch spannendes Thema handelt.

Prof. Berneke knüpfte hieran an und verwies auf die großen praktischen Konsequenzen, die entstehen, wenn ein einmal bestimmter enger Streitgegenstand tatsächlich in einem Verfahren über mehrere Instanzen durchgehalten werde. Die Praxis hierzu variiere jedoch zwischen den Obergerichten. Insgesamt sei das Bewusstsein für das Thema auch in der Richterschaft durch das Beharren und die Argumentation der Anwaltschaft gewachsen.

II. Ausgangspunkt: Der geltend gemachte Anspruch

Als Ausgangspunkt des Unterlassungsbegehrens im Zivilprozess fungiert, so Prof. Berneke, der geltend gemachte Anspruch. Dies zeigen die Regelungen der ZPO zum Urteil und zur materiellen Rechtskraft (§§ 313 Abs. 2, 322 Abs. 1 ZPO). Der Anspruch definiert, worüber das Gericht zu entscheiden habe, § 308 Abs. 1 ZPO (Bindung an die Parteianträge). Werden mehrere Ansprüche geltend gemacht, liege hierin eine Klagehäufung, werde der geltend gemachte Anspruch gewechselt, führe dies zur Klageänderung mit den entsprechenden Konsequenzen für die Reichweite der materiellen Rechtskraft.

III. Streitgegenstand und materielle Rechtskraft

Als bedeutsam stelle sich, so Prof. Berneke, dabei vor allem die Verknüpfung der materiellen Rechtskraft mit dem Streitgegenstand dar.
Oft decke sich der prozessuale Streitgegenstand nicht mit dem materiellen Anspruch; vielmehr stünden mehrere materiell-rechtliche Ansprüche in Anspruchskonkurrenz, würden aber einheitlich abgeurteilt. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei der in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO angedeutete zweigliedrige Streitgegenstandsbegriff, wonach sich der Streitgegenstand nach dem Antrag der Parteien und dem Sachverhalt bestimmt.
Keine Bedeutung misst Prof. Berneke dem Streit bei, ob der Sachverhalt lediglich ergänzend heranzuziehen ist, oder ob Antrag und tatsächliches Geschehen gleichwertig nebeneinander stehen. Den Sachverhalt bilde jedenfalls nicht allein das, was durch den Kläger vorgetragen werde, sondern der gesamte Lebenssachverhalt. Würden etwa aus einem Lebenssachverhalt Ansprüche aus Vertrag und Delikt geltend gemacht, so gingen die Gerichte trotz unterschiedlicher Anspruchsvoraussetzungen von einem einheitlichen prozessualen Streitgegenstand aus.
Im Kern gehe es darum, die Reichweite dieser möglichen Zusammenfassung von Ansprüchen nach praktischen Bedürfnissen zu bestimmen. Die Unterlassungsklage im Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, bei der immer sowohl das gesetzlich verbotene Verhalten wie die tatsächliche Handlung, die die Begehungsgefahr auslöse, zu prüfen seien, weise dabei Besonderheiten auf, denen der Vortrag unter zwei Fragestellungen nachzugehen habe:
1. Wie eng ist der Streitgegenstand im Lichte der BGH-Rechtsprechung zum Gewerblichen Rechtsschutz, insb. der Entscheidung in CIP-Newsletter 2/2006, S. 11 (Markenparfümverkäufe), zu verstehen? (dazu unter IV.)
2. Welche Folgen ergeben sich aus dem engen Streitgegenstandsbegriff? (dazu unter V.)

IV. Der enge Streitgegenstandsbegriff

Änderungen des Antrags und Änderungen des Lebenssachverhalts begründen jeweils eine Änderung des Streitgegenstands. Im Antrag müsse das konkrete Verhalten, das unterbunden werden soll, und jenes, welches das Gesetz verbietet, benannt werden. Dies gelte sowohl für die Sonderschutzrechte, wie für das Lauterkeitsrecht.
Die Formel „da mihi factum, dabo tibi jus“ gelte dabei, so Prof. Berneke, nur im Grundsatz; meist werde bei Klagen im gewerblichen Rechtsschutz der Sachverhalt bereits mit Bezug auf Normen vorgetragen. Eine zu weite Fassung des Antrags läuft dabei Gefahr, dass eine Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr zu verneinen ist. Zu suchen sei nach dem Charakteristischen der zu unterbindenden Handlung, also nach jenem, was die Handlung prägt.

1. Anspruch aus mehrere Marken oder mehreren UWG-Normen

Werden Ansprüche aus unterschiedlichen geschützten Marken hergeleitet, so liegen hierin mehrere Streitgegenstände, selbst wenn es sich um die gleiche Verletzungshandlung handelt. Dies gelte auch, sofern eine Vielzahl von Verletzungen des UWG aus derselben Handlung geltend gemacht wird. Aus unterschiedlichen Marken könne eine unterschiedliche Reichweite des Urteils in sachlicher Sicht folgen, etwa wenn verschiedene Form-Strip-Marken variierten und der Ähnlichkeitsbereich und die Schutzentstehung und die Reichweite des Schutzes unterschiedlich zu beurteilen seien.

2. Unterschiedliche Schutzrechtskategorien

Unterschiedliche Streitgegenstände liegen auch vor, wenn in einer Klage Ansprüche aus unterschiedlichen Schutzrechten (also etwa einer Marke und eines Geschmacksmusters) und aus Wettbewerbsrecht geltend gemacht werden, da die Voraussetzungen für Entstehung, Fortbestand und etwa Lizenzierung jeweils eigenständig zu bestimmen seien.

3. Verschiedene Lebenssachverhalte

Ebenso liegen mehrere Streitgegenstände vor, wenn mit einem Antrag verschiedene Lebenssachverhalte beschrieben werden. Merkmal für die Abgrenzung des Streitgegenstands sei der Kern des erstrebten Verbots. Der BGH gehe dabei soweit, dass jede einzelne (nachträglich vorgetragene) Schutzrechtsverletzung einen eigenen Streitgegenstand bilde, auch wenn durch der Klageantrag auf Unterlassung nur eines (wiederholt unternommenes) Verhaltens gerichtet ist. Diese Rechtsprechung, wonach bei gleichförmigen wiederholten Handlungen mit Blick auf dasselbe Schutzrecht (z.B. mehrmaliges Berühmen) mehrere Streitgegenstände angenommen werden, sei zweifelhaft, sie sei weder aus der Natur der Sache nachzuvollziehen, noch gebe es für sie ein praktisches Bedürfnis.
Vorauszusetzen seien vielmehr relevante Abweichungen bei einzelnen Merkmalen des Sachverhalts. Während die unterschiedliche Verwendung einer bestimmten Farbe für ein Erzeugnis in einem Patentverletzungsverfahren unerheblich sei, könne ihr im Geschmacksmusterrecht durchaus Relevanz zu kommen. Ein eigener Streitgegenstand liegt damit nach Prof. Berneke dann vor, wenn eine Abweichung auch nur mögliche Relevanz für ein gesetzliches Tatbestandmerkmal hat. Ein neuer Klagegegenstand verlange letztlich eine neue Verletzungsform.

4. Ausnahmen

Von der Annahme des gleichen Streitgegentands bei fehlender relevanter Abweichung seien in zwei Konstellationen Ausnahmen zu machen:
- bei Wiederholung eines Verhaltens, das in einem ersten Verfahren wegen mangelnder Beweisbarkeit nicht abgeurteilt werden konnten, wenn die wiederholte Vornahme des Verhaltens im zweiten Verfahren beweisbar ist.
- bei Wiederholung eines Verhaltens, wenn eine frühere Klage wegen Eintritts der Verjährung nicht erfolgreich war.
In der Diskussion fügt Prof. Berneke diesen beiden Fällen noch jenen hinzu, dass sich eine Erstbegehungsgefahr später realisiert hat.

5. Grenzfälle

Als Grenzfall erweise es sich, wenn ein Unterlassungsanspruch einmal aufgrund einer Erstbegehungsgefahr, einmal aufgrund einer Wiederholungsgefahr geltend gemacht werde. Während Ahrens hierin keinen unterschiedlichen Klagegegenstand sieht, da das Verhalten als solches maßgeblich sei, sei die BGH-Rechtsprechung in Markenparfumverkäufen so auszulegen, dass die unterschiedlichen Arten der Begehungsgefahr auch zu einem unterschiedlichen Streitgegenstand führen müssten. Der Tatbestand gehöre nämlich zur Begründetheit; bei einer (bloßen) Erstbegehungsgefahr sei zudem der Titel möglicherweise hinfälliger.

V. Konsequenzen des engen Streitgegenstandsbegriffs in der Verfahrenpraxis

Im Ergebnis führen unterschiedliche Streitgegenstände zu unterschiedlichen Titeln im Urteil. Dies gelte etwa mit Blick auf das ausgesprochene Verbot und dessen Dauer. Der Wert des Titels erweise sich dann oft in der Zwangsvollstreckung und bei einer etwaigen Vollstreckungsgegenklage. Die Konsequenzen des engen Streitgegenstandsbegriffs erwachsen aus der enge Verbindung zwischen dem Streitgegenstand (prozessualem Anspruch), der materiellen Rechtskraft und dem Rechtsschutzinteresse.

1. Anforderungen des § 253 ZPO und Klagehäufung

Für die Formulierung eines Klageantrags folgt aus dem engen Streitgegenstandsbegriff, dass die Ansprüche genau zu bezeichnen sind. Dies betrifft unterschiedliche Lebenssachverhalte genauso wie möglicherweise unterschiedliche Schutzrechte, die geltend gemacht werden. 
Bei Klagehäufung sei zu raten, die Streitgegenstände in ein Verhältnis zu bringen (Hilfsverhältnis oder Kumulation). Das Gericht müsse ein so gewünschtes Verhältnis nach § 308 ZPO akzeptieren.
Hinsichtlich der einzelnen Streitgegenstände sollte dann (im Fall unterschiedlicher Schutzrechte) für jedes einzelne Recht zu Entstehung und Übertragung sowie weiteren Voraussetzungen des Schutzes vorgetragen und Beweis erbracht werden.
Der Gerichtspraxis entspricht es, dass oftmals dann, wenn eine Klage hinsichtlich eines geltend gemachten materiellrechtlichen Anspruchs Erfolgsaussichten hat, ein Hinweis darauf erfolgt, ob der Kläger die Streitgegenstände nicht in ein Eventualverhältnis stellen möge.

2. Klageerweiterung

Die Einführung neuer Lebenssachverhalte im Prozess bedeutet eine Klageerweiterung (Klageänderung), deren Zulässigkeit dann vom Gericht zu prüfen ist.

3. Klageabweisung und Berufung

Wird die Klage in erster Instanz teilweise abgewiesen, so ist Berufung hinsichtlich aller Streitgegenstände Berufung einzulegen. Wird mit der Berufung wiederum ein neuer Streitgegenstand eingeführt, so hat dies zur Konsequenz, dass hinsichtlich dieses Gegenstands die Beschwer fehlt.

4. Einstweiliger Rechtsschutz

Auch für das einstweilige Verfügungsverfahren ist der enge Streitgegenstandsbegriff zugrunde zu legen. Der prozessuale Anspruch auf vorläufige Befriedigung des materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruchs vollzieht die Umgrenzung des jeweiligen Streitgegenstands der Hauptsache nach. Die Prüfung der Dringlichkeit erfolgt oft schematisch durch die Gerichte. Eine späte Geltendmachung eines neuen Streitgegenstands könne, so Prof. Berneke, darauf hindeuten, dass hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs möglicherweise keine Dringlichkeit besteht.

5. Streitwert und Kostenentscheidung

Bei unterschiedlichen Streitgegenständen sind diese wegen ihrer unterschiedlichen Reichweite einzeln zu bewerten. Die unterschiedlichen Beträge müssen dann addiert werden. Hingegen ist es nach Auffassung von Prof. Berneke unzulässig, bei mehreren Streitgegenständen einzelne Beträge bloß mit der Zahl der Gegenstände zu multiplizieren.
Sei eine Klage nur teilweise erfolgreich, müsse eine Quotelung vorgenommen werden, wobei sich schematische Formeln verböten. Prof. Berneke spricht sich dafür aus, in der Bestimmung der Kostenlast zu berücksichtigen, dass das Ziel der Klage, nämlich das Verbot der Handlung, erreicht wurde. Hierfür sei ein Grundbetrag zulasten des Beklagten in Ansatz zu bringen. Ein geringerer Anteil falle dann der Bestimmung der Quote hinsichtlich der Streitgegenstände zu, hinsichtlich derer der Kläger nicht erfolgreich war.

6. Erstattung von Abmahnkosten

Nicht sicher zu beurteilen ist, ob der enge Streitgegenstandsbegriff auch Auswirkungen für die Formulierung einer Abmahnung und die Erstattung der Kosten für das Abmahnschreiben hat. Die Abmahnung müsse zwar konturieren, welches Verhalten zu unterlassen ist und ob es sich um die Verletzung eines Schutzrechts oder einer Pflicht aus dem Lauterkeitsrecht handelt. Dennoch seien die Pflichten an die präzise Formulierung des Anspruchs geringer als im Prozess.
Ob eine zu präzise Formulierung eines Anspruchs möglicherweise dazu führen kann, dass Abmahnkosten dann nicht erstattungsfähig sind, wenn im Prozess zwar der in der Abmahnung benannte Anspruch abgelehnt, dafür ein anderer (in der Abmahnung nicht erwähnter) Anspruch hinsichtlich des gegenständlichen Verhaltens des Beklagten durchgeht, ließ Prof. Berneke offen. In der Diskussion beließ er es bei dem Hinweis, dass für die Abmahnung nicht mit letzter Schärfe die Voraussetzungen des Prozesses zu übertragen seien.

VI. Diskussion

Dem Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an, zunächst zu der letztgenannten Thematik der Abmahnkosten. Kritisch merkten Vertreter der Anwaltschaft an, dass die vorgetragene klare Linie zum Streitgegenstandsbegriff noch nicht konsequent in der erstinstanzlichen Verfahrenpraxis eingehalten werde.
Zur Diskussion wurde auch die Entscheidung „Markenparfümverkäufe“ gestellt. Prof. Berneke stellte dabei klar, dass sich durch die Entscheidung keine Änderung dessen ergeben sollte, was als „Kernbereich“ eines Handelns aufgefasst werde. Die Definition des charakteristischen Verhaltens bleibe bestehen. Mit der vonTeplitzky ausgesprochenen Nicht-Anwendungsempfehlung stimme seine Meinung insofern überein, als dass bei einer bloßen Vielzahl von Fällen kein neuer Streitgegenstand vorliege.
Diskutiert wurde auch über das Verhältnis, in das Streitgegenstände durch den Kläger zu bringen sind, und die Konsequenzen hieraus für Berufung und Revision. Aufgeworfen wurde die Frage, ob dann, wenn das Gericht einzelne Streitgegenstände im Urteil nicht erwähne, hierin ein verdecktes Teilurteil zu sehen sei, hinsichtlich dessen dann ein Antrag auf Urteilsergänzung gestellt werden könne.
Für das Geschmacksmusterrecht berichtete eine anwesende Richterin, dass die Gerichte dann, wenn zu einzelnen Streitgegenständen in der Klageschrift nur am Ende knapp und „en passant“ vorgetragen werde, dies zumeist so deuteten, dass zwischen den geltend gemachten Ansprüchen ein Eventualverhältnis besteht. Fehle es an Informationen hierzu, werde aber häufig das Gespräch mit dem Kläger gesucht.

VII. Schlusswort

Nach lebhafter Diskussion bedankte sich Prof. Dr. Busche beim Referenten des Abends für dessen interessanten Vortag und bei den Teilnehmern des Werkstattgesprächs für die die couragierte Diskussion. Das Gespräch habe den „Werkstattcharakter“ der Veranstaltungsreihe des Zentrums für Gewerblichen Rechtsschutz besonders deutlich werden lassen. Mit einem Umtrunk im Schlosskeller klang das Gespräch aus.
Das nächste Werkstattgespräch findet am 9. Januar 2008 zum Thema „Grenzüberschreitende Patentverletzungsprozesse nach GAT/LuK“ statt.

VIII. Zur Vertiefung:

1. Rechtsprechung:

- BGH, CIP-Newsletter 2/2006, S. 11 (Markenparfümverkäufe)
- BGH GRUR 2001, 755 (Telefonkarte)

2. Literatur:

- Berneke, Der enge Streitgegenstand von Unterlassungsklagen des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts in der Praxis, WRP 2007, 579
- Teplitzky, Markenparfümverkäufe und Streitgegenstand, WRP 2007, 397

 

Veranstaltungsdetails

28.11.2007, 18:00 Uhr - 20:00 Uhr
Ort: Schloss Mickeln, Blauer Salon
Verantwortlichkeit: