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Werkstattgespräch: Das US-amerikanische Patentsystem - Einblicke und Ausblicke

CIP Werkstattgespräche

Das US-amerikanische Patentsystem - Einblicke und Ausblicke

Referentin: Prof. Toshiko Takenaka, PhD, University of Washington - School of Law

Am Montag, den 5. Dezember 2016, referierte Frau Prof. Toshiko Takenaka im Rahmen der Werkstattgespräche des Zentrums für Gewerblichen Rechtsschutz im Haus der Universität über das US-amerikanische Patentsystem. Dabei widmete sich Frau Prof. Takenaka insbesondere der Problematik, welche Anforderungen an einen Patentanspruch im Hinblick auf seine Bestimmtheit und Klarheit gestellt werden, bevor sie auf die Thematik der Patentverletzung sowie der Anspruchsformulierung zu sprechen kam.

I. Einleitend wies Frau Prof. Takenaka auf einen undefinedBericht aus dem Jahr 2012 der Federal Trade Commission (Bundeshandelskommission) über den sich entwickelnden Markt auf dem Gebiet der geistigen Eigentumsrechte hin. Hierin bemängelte die Federal Trade Commission u.a., dass Patentansprüche ihrer Hinweisfunktion nicht gerecht werden. Im IT-Sektor seien Patentansprüche nicht selten bereits aus der Natur der Sache heraus ungenau. Zudem würden Patentinhaber für die Umschreibung ihrer Erfindungen oftmals auf funktionelle Formulierungen zurückgreifen, sodass der Schutzbereich weiter erscheint. Ebenso führte die Federal Trade Commission an, dass die Bestimmtheit eines Patentanspruchs vom US-amerikanischen Patent- und Markenamt (USPTO) nicht hinreichend geprüft wird. Um der Kritik entgegenzuwirken, startete das USPTO eine undefinedInitiative zur Steigerung der Qualität von Patenten. Sie umfasst insbesondere eine Schulung der Prüfer, um die Nachvollziehbarkeit der Prüfungsbescheide zu verbessern.

II. Sodann ging die Referentin näher auf die US-amerikanische Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgrundsatz ein und stellte zunächst die Entscheidung des US Supreme Court in der Sache „Nautilus“ (undefinedNautilus v. Biosig 134 S. Ct. 2120 [2014]) vor. In diesem Urteil brach der Oberste Gerichtshof mit dem von den Berufungsgerichten entwickelten Maßstab, wonach sich die Erfindung anhand des Patentanspruchs nachbauen lassen muss („amenable to construction“) und die Formulierung nicht unauflöslich mehrdeutig sein darf („insolubly ambiguous“). Damit ein Anspruch nicht als unbestimmt und somit als ungültig eingeordnet wird, muss er nach Ansicht des Supreme Court vielmehr eine angemessene Bestimmtheit („reasonable certainty“) aufweisen. Die Berufungsgerichte nahmen diesen veränderten und mithin strengeren Maßstab in der Folge in ihre Rechtsprechung auf. Zur Verdeutlichung besprach Frau Prof. Takenaka den Fall „Dow Chemical“ (undefinedDow Chem. Co. v. Nova Chems. Corp., 803 F.3d 620 [Fed. Cir. 2015]). Im Lichte der Vorgaben aus dem Urteil „Nautilus“ entschied das Berufungsgericht, dass ein Patentanspruch zu unbestimmt ist, wenn ein Anspruch mit Blick auf die Beschreibung und den Verlauf des Erteilungsverfahrens für einen Fachmann keinerlei Anleitung dahingehend bietet, was mit angemessener Wahrscheinlichkeit Umfang der Erfindung ist. In der Entscheidung „Interval Licensing“ (undefinedInterval Licensing LLC v. AOL, Inc., 766 F.3d 1364 [Fed. Cir. 2014]) wandte das zuständige Berufungsgericht die strengeren Bestimmtheitsanforderungen zudem auf subjektive Begriffe an. Es hatte insbesondere darüber zu befinden, ob die Begrifflichkeit der „unaufdringlichen Art und Weise“ („unobtrusive manner“) zu unbestimmt ist. Dazu führte das Berufungsgericht aus, dass Rangbegriffe („term of degree“) nicht bereits von Natur aus unbestimmt („inherently indefinite“) sind. Ansprüche, die solche Begriffe enthalten, seien aber immer dann unbestimmt, wenn sie im Lichte der Beschreibung und dem Verlauf des Erteilungsverfahrens betrachtet keine objektiven Begrenzungen für einen Fachmann bieten.

Des Weiteren widmete sich die Referentin der Frage nach der Auslegung von sog. Funktionsansprüchen. Im Gegensatz zum europäischen und deutschen Patentrecht enthält das US-amerikanische Patentrecht mit undefined35 U.S.C. 112 (f) eine spezielle Norm für die Auslegung von funktionell ausgerichteten Patentansprüchen. Sofern ein Merkmal eines Anspruchs für eine Kombination durch bestimmte Mittel oder Schritte zur Ausführung einer Funktion umschrieben wird, beschränkt sich der Schutzbereich des Anspruchs auf die jeweiligen Ausführungsformen in der Patentschrift und richtet sich nicht nach dem Wortlaut des Patentanspruchs. In Bezug auf Funktionsansprüche legen die Gerichte einen besonders strengen Maßstab an die Bestimmtheit an. Sie gelten nur dann als bestimmt, wenn die Patentschrift eine hinreichende Offenbarung einer Struktur zur Ausführung jeglicher im Patentanspruch aufgeführter Funktionen enthält. An Relevanz gewinnen funktionsorientierte Patentansprüche vor allem für Computersoftware. Die in diesem Zusammenhang zu offenbarende Struktur ist ein Algorithmus. Ausgenommen von dieser Offenbarungspflicht sind nicht-spezialisierte Funktionen. Es handelt sich hierbei um Funktionen, die einem Fachmann allgemein bekannt sind und die üblicherweise von einem Universalcomputer oder einer Computerkomponente ausgeführt werden. Allerdings wird diese Ausnahmeregelung sehr eng ausgelegt. Dies führe zu einem grundsätzlichen geringen Schutz. Frau Prof. Takenaka wies zudem darauf hin, dass der Anwendungsbereich von undefined35 U.S.C. 112 (f) und mithin das Vorliegen eines Funktionsanspruchs im Allgemeinen nicht leicht zu bestimmen ist. Patentanwälten sei daran gelegen, die strengen Bestimmtheitsvoraussetzungen für funktionelle Ansprüche zu umgehen. Sie seien aus diesem Grund bemüht, Begrifflichkeiten zu verwenden, die eher an eine Struktur als an eine Funktion erinnern. Von den Berufungsgerichten wurde in der Vergangenheit eine klare Vermutungsregelung zum Anwendungsbereich des strengen Bestimmtheitsgrundsatzes ausgearbeitet. Hiernach wurde die Nichtverwendung der Begriffe „Mittel“ („means“) oder „Schritte“ („steps“) im Hinblick auf das umstrittene Element eines Patentanspruchs als starke Vermutung dafür gewertet, dass undefined35 U.S.C. 112 (f) keine Anwendung findet. Diese Rechtsprechung wurde nunmehr durch das Urteil „Williamson“ (undefinedWilliamson v. Citrix Online, LLC, 792 F.3d 1339 [Fed. Cir. 2015]) modifiziert. In diesem Fall behielt das zuständige Berufungsgericht zwar die besagte Negativvermutung bei, legte aber zusätzlich dar, wie letztere überwunden werden kann: Es muss aufgezeigt werden, dass die Fachkreise dem im Anspruch verwendeten Begriff der bezeichneten Struktur keine ausreichend definierte Bedeutung zumessen.

In diesem Kontext führte die Referentin aus, dass das Urteil „Williamson“ einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Patenterteilung von computer- bzw. softwarebezogene Erfindungen hat. Gleichzeitig machte Frau Prof. Takenaka auch darauf aufmerksam, dass das USPTO undefined35 U.S.C. 112 (f) schon vor Erlass des besagten Urteils sehr weitgehend angewandt hat; es seine Praxis, Patentansprüche mit funktionellem Einschlag zurückzuweisen, nach dem Urteil aber noch weiter verschärft hat. So seien Patentprüfer des USPTO dazu instruiert, Patentansprüche schon bei Unklarheiten darüber, ob ein Patentanspruch eine Funktion oder eine Struktur beinhaltet, wegen mangelnder Bestimmtheit zurückzuweisen und die Patentanmelder aufzufordern, eine andere Begrifflichkeit zu benutzen, die ganz sicher auf eine Struktur hinweist. Ansonsten würden die Patentansprüche anhand der Vorgaben des undefined35 U.S.C. 112 (f) ausgelegt.

Sodann führte die Referentin das Urteil „Bosch“ (Robert Bosch, LLC v. Snap-On Inc., 769 F.3d 1094 [Fed. Cir. 2014]) als ein gutes Anwendungsbeispiel für die erhöhten Bestimmtheitsanforderungen bezüglich der Funktionsansprüche an, obwohl es in zeitlicher Hinsicht dem Urteil „Williamson“ vorgelagert ist. Im Rahmen dieser Entscheidung erklärte das erkennende Gericht den Einwand, dass ein Fachmann nachgewiesenerweise in der Lage wäre, sich der strittigen Funktionen zu bedienen, indem er eine der vielen möglichen Vorrichtungen benutzt, für nicht ausreichend, um die Negativvermutung des undefined35 U.S.C. 112 (f) zu überwinden.

Ferner ging Frau Prof. Takenaka noch weiter auf die Prüfungspraxis des USPTO ein. In seinen undefinedAusbildungsunterlagen macht das USPTO Erfinder u.a. darauf aufmerksam, dass bei Ansprüchen auf computerimplementierte Erfindungen häufig funktionale Ausdrücke verwendet werden. Letztere Ansprüche würden den Anforderungen an eine schriftliche Beschreibung („written description“) oftmals nicht gerecht, weil in der Patentschrift nicht hinreichend dargelegt werde, wie die Erfindung die geltend gemachte Funktion erfüllt. Aus diesem Hinweis lässt sich laut der Referentin der Grundsatz ableiten, dass ein Patentanspruch für Computersoftware mit funktionsbezogenem Wortlaut stets ungültig ist, sofern in der Patentschrift nicht der dazugehörige Algorithmus offenbart wird. Nach den Ausführungen der USPTO scheitern Funktionsansprüche zudem mit einer großen Wahrscheinlichkeit am Kriterium der Ausführbarkeit („enablement“), da sie in der Regel alle möglichen Ausführungsformen der Funktionen umfassen.

Zuletzt machte die Referentin auf die Entscheidung „Lizard Tech“ (undefinedLizardTech inc. v. Earth Resource Mapping Inc. 424 f.3d 1336 [Fed. Cir. 2005]) aufmerksam, in der das zuständige Berufungsgericht nähere Ausführungen zu den Anforderungen an eine schriftliche Beschreibung tätigte. U.a. erklärte das Gericht einen Patentanspruch für ungültig, mit dem gewisse Berechnungsmethoden geschützt werden sollten, da in der Beschreibung lediglich eine ganz bestimmte Methode offenbart war. Ein Fachmann könne daraus nicht ableiten, dass der Patentinhaber eine allgemeine Berechnungsmethode erfunden habe; die Erfindung beschränke sich vielmehr auf die spezielle in der Beschreibung offenbarte Methode. Insgesamt erfülle der Patentanspruch nicht die Voraussetzungen der schriftlichen Beschreibung, weshalb er ungültig sei.

III. Im Anschluss an die Frage nach der Bestimmtheit von Patentansprüchen widmete sich Frau Prof. Takenaka der Thematik der Patentverletzung und Anspruchsformulierung. Einleitend kritisierte die Referentin die derzeitige Praxis in der Rechtsprechung, sich im Falle von breit oder peripher formulierten Ansprüchen aus Rechtssicherheitsgründen generell viel zu sehr auf die Anspruchsformulierung zu fokussieren und der Erfindung an sich zu wenig Bedeutung zuzumessen. Da es im US-amerikanischen Recht an einer etwa mit undefinedArt. 69 EPÜ vergleichbaren Norm fehlt, bestimmt sich die Auslegung von Patentansprüchen allein nach der Rechtsprechung. Insbesondere das erkennende Berufungsgericht in der Sache „Philips“ (undefinedPhillips v. AWH Corp., 415 F.3d 1303 [Fed. Cir. 2005]) legte grundsätzliche Regelungen zur Auslegung fest. U.a. führte das Berufungsgericht aus, dass der Schutzbereich eines Patents durch die Patentansprüche bestimmt wird, die Patentansprüche wiederum im Lichte der Beschreibung interpretiert werden müssen. Ferner soll die Auslegung von umstrittenen Begriffen unter Berücksichtigung dessen erfolgen, was der Patentanmelder tatsächlich erfunden hat und mit dem einzelnen Anspruch als geschützt wissen wollte.

Sodann machte Frau Prof. Takenaka darauf aufmerksam, dass die US-amerikanischen Gerichte Äquivalente nicht in den Schutzbereich miteinbeziehen, sondern lediglich offenbarten Ausführungsformen Bedeutung zumessen. Aus diesem Grund sähen sich die Patentanwälte veranlasst, breite Patentansprüche zu formulieren, die jegliche vorhersehbaren Äquivalente abdecken. Hierunter leide allerdings die Klarheit von Patentansprüchen. Dieses Problem wurde u.a. auf einer Konferenz zur Qualität von Patenten behandelt. Um die Klarheit von Patentansprüchen zu verbessen wurden im Rahmen der Tagung mehrere Lösungswege vorgeschlagen: So wurde empfohlen, Patentbeschreibungen zu standardisieren. Patentanwälten sollten dazu angehalten werden, auf Begrifflichkeiten zurückzugreifen, welche das USPTO in einem Glossar angelegt. Ferner solle das USPTO seinerseits detailliertere Aufzeichnungen zum Prüfungsverfahren machen. Die Rechtsliteratur bemängelt wiederum das Auftreten von Fehlern im Falle von breiten Anspruchsformulierungen, da der Wortlaut von Patentansprüchen von Natur aus unbestimmt sei. Er beruhe nämlich auf einer höchst technischen sowie förmlichen Wortwahl, deren Bedeutung vom technischen Fortschritt abhänge. Ebenso sei die Anspruchsformulierung derart gewählt, dass hiervon einerseits offenbarte Ausführungen gedeckt sind und diese sich andererseits von dem bekannten Stand der Technik unterscheiden. Der Wortlaut werde demnach unbestimmt und mehrdeutig, wenn er mit einem unbekannten Stand der Technik und patentverletzenden Ausführungen verglichen wird.

Des Weiteren kritisierte Frau Prof. Takenaka die derzeitige Rechtspraxis, Patentanmelder regelrecht zu „bestrafen“, wenn sie ihre Erfindungen in den Patentschriften ausführlich darlegen. Gerichte würden die Patentschriften nach möglichen anspruchsbeschränkenden Disclaimern untersuchen. Beispielsweise seien die Gerichte dazu übergegangen, Erörterungen über einen bestimmten Stand der Technik und etwaige Probleme, die hiermit verbunden sind, dahingehend auszulegen, dass offenbarte Ausführungsformen, die jenes Problem nicht lösen, als nicht vom Schutzbereich des Patents umfasst anzusehen. Zur Untermauerung ihrer These verwies die Referentin dabei auf das Urteil „Nintendo“ (undefinedUltimatePointer, L.L.C. v. Nintendo Co., Ltd. 15-1297 [Fed. Cir. 2016]), im Rahmen dessen eine bestimmte offenbarte Ausführungsform vom Schutzbereich des Patentanspruchs ausgeklammert wurde. Aufgrund letzterer Rechtsprechungspraxis hätten Patentanwälte wiederum eine ganz spezifische Patentformulierungsstrategie entwickelt, um möglichen von den Gerichten „hinzugedichteten“ Beschränkungen des Schutzbereichs vorzubeugen: Sie würden bei der Beschreibung einer zum Patent angemeldeten Erfindung darauf achten, der Patentschrift keine generellen Erörterungen zur Erfindung, keine Erörterungen zum spezifischen Stand der Technik sowie keine Erörterungen des technischen Problems oder Vorteils beizufügen. Lediglich der allgemeine Stand der Technik werde in der Patentschrift erläutert. Dies führe insgesamt zu qualitativ schlechten Offenbarungen der technischen Erfindung. Ferner bemängelte die Referentin, dass die amerikanischen Gerichte ihre Praxis ins Ausland weitertragen, da Prioritätsdokumente nach der Rechtsprechung „Abbot v. Sandoz“ (Abbott v. Sandoz  556 F.3d 1282 [Fed. Cir. 2009]) im US-Patenterteilungsverfahren miteinbezogen werden.

IV. Konkludierend stellte Frau Prof. Takenaka fest, dass die amerikanische Rechtsprechung gut daran täte, die in Deutschland geltenden Auslegungsgrundsätze von Patentansprüchen zu adaptieren.

V. In der anschließenden Diskussion wurde noch einmal auf Vor- und Nachteile der US-amerikanischen Patentrechtspraxis eingegangen und diese insbesondere mit dem im deutschen Patentrecht bekannten Ansatz der funktionsorientierten Auslegung verglichen. Letztere wurde vom Plenum im Allgemeinen als zu weitreichend empfunden. In diesem Zusammenhang merkte Frau Prof. Takenaka abschließend an, dass im Allgemeinen nur etwa 5% der Patente lizenziert werden. Aus diesem Grund erscheine ihr der Aufwand für einen Erfinder, der sich mit den strengen Anforderungen im Hinblick auf die Anspruchsformulierung auseinandersetzen muss, damit er sein Patent erhält, unverhältnismäßig hoch.

 

Wiss. Mit. Linn-Karen Fischer

Veranstaltungsdetails

05.12.2016, 12:30 Uhr - 14:00 Uhr
Ort: Haus der Universität, Raum 4a, 3. OG, Schadowplatz 14, 40212 Düsseldorf
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