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Werkstattgespräch: Grenzüberschreitende Markenverletzung in der EU – Nationale Marken auf dem Vormarsch?

Werkstattgespräche CIP

Werkstattgespräch: 09. Mai 2018, 18 Uhr, Haus der Universität Düsseldorf  


Grenzüberschreitende Markenverletzung in der EU – Nationale Marken auf dem Vormarsch?


Referent: Herr Prof. Dr. Peter Ruess, LL.M., Arnold Ruess Rechtsanwälte, Düsseldorf

 

I. Begrüßung und Einführung in die Thematik

Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte Herr Prof. Dr. Busche die Zuhörerschaft und stellte den Referenten des Abends vor: Herr Prof. Dr. Ruess der Kanzlei „Arnold Ruess Rechtsanwälte und Fachanwälte für Gewerblichen Rechtsschutz“ in Düsseldorf. Der Referent beschäftigte sich mit der Einordnung sowie den Auswirkungen der Entscheidung „Parfummarken“ des Bundesgerichtshofs vom 09. November 2017 (Az.: I ZR 164/16).


II. Die Entscheidung „Parfummarke“ des Bundesgerichtshofs

Nach kurzen einführenden Worten in die Thematik ging Herr Prof. Ruess zunächst auf den Hintergrund der Parfummarken-Entscheidung ein. Dieser liege in der internationalen Zuständigkeit begründet. Nach der dafür grundlegenden Norm des Art. 125 Abs. 1 UMV (vormals Art. 97 Abs. 1 GMV) seien die zuständigen Gerichte abhängig vom Wohnsitz oder der Niederlassung des Beklagten. Alternativ könnten die Verfahren nach Art. 125 Abs. 1 UMV (Art. 97 Abs. 5 GMV) auch bei den Gerichten des Mitgliedstaates anhängig gemacht werden, in dem eine Verletzungshandlung begangen worden sei oder drohe (Handlungsgerichtsstand). Dem Leitsatz der Parfummarken-Entscheidung zufolge, ist bei der Bestimmung des für die internationale Zuständigkeit nach Art. 97 Abs. 5 GMV (heute Art. 125 Abs. 1 UMV) maßgeblichen schadensbegründenden Ereignisses nicht auf jede einzelne Verletzungshandlung abzustellen, sondern es ist eine Gesamtwürdigung des Verhaltens vorzunehmen, um den Ort zu bestimmen, an dem die ursprüngliche Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht.

Der Referent rief zunächst noch einmal den der Parfummarken-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt in Erinnerung. Klägerin war die Coty Lancaster Gruppe, als Rechtinhaberin an den IR-Marken „Davidoff“ sowie „Covet“. Die Marke „Davidoff“ wurde erstreckt in den Bereich der gesamten Europäischen Union, die Marke „Covet“ hingegen beanspruchte Schutz nur für Deutschland. Die Beklagte Parfum-Händlerin benutzte „Davidoff“ und „Covet“ auf einer italienischen Webseite (mit Top-Level-Domain „.it“), die sich auch auf Deutsch abrufen ließ. Eine direkte Bestellmöglichkeit war auf der Seite zwar nicht vorhanden, allerdings waren entsprechende Kontaktdaten auf der Webseite angegeben. Die Klägerin mahnte die Beklagte ab und forderte von ihr Unterlassung durch die Abgabe einer Unterlassungserklärung hinsichtlich Einfuhr, Angebot, Bewerbung und Inverkehrbringen in Deutschland. Ein deutscher Testkäufer bestellte diverse Dinge per Email, nachdem er sich zuvor über Preise und Lieferkonditionen erkundigt hatte und die Ware wurde im Auftrag des Kunden von einer Spedition in Italien abgeholt und in ein deutsches Warenlager verbracht. In der Folge erhob der Kläger die Klage aufgrund von Markenverletzungen.

Bei dieser Sachverhaltskonstellation kamen nach Auffassung des Referenten drei mögliche Anknüpfungspunkte für Verletzungshandlungen in Betracht. Zunächst könne das Anbieten der Ware auf einer italienischen Webseite mit deutscher Sprachoption eine Verletzungshandlung darstellen. Ebenso könne eine Verletzungshandlung in der Zusendung von Informationen über den Lagerbestand und Preise per Email nach Deutschland liegen. Schließlich sei vor allem auch das Verbringen der Ware nach Deutschland im Auftrag des Kunden als mögliche Verletzungshandlung zu diskutieren gewesen. Hinsichtlich der Zuständigkeit habe der Bundesgerichtshof sich bei seiner Entscheidung mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs „Nintendo/Big Ben“ vom 27. September 2017 (Rs. C-24/16) auseinandergesetzt, dem eine geschmacksmusterrechtliche Streitigkeit zugrunde lag und in dem ebenfalls auf die Begrifflichkeit der „Gesamtwürdigung des Verhaltens“ abgestellt wurde. In diesem Kontext empfahl der Referent eine Anmerkung von Frau Prof. Dr. Annette Kur zur heimischen Lektüre (veröffentlicht in GRUR 2017, 1120, 1127 f.). Entscheidend sei, dass nicht jede Verletzungshandlung einzeln betrachtet werden dürfe, sondern der Ort der ursprünglichen Verletzungshandlung identifiziert werden müsse. Nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs sei Art. 125 Abs. 5 GMV dabei grundsätzlich eng auszulegen, sodass eine internationale Zuständigkeit in Deutschland hinsichtlich der IR-Marke „Davidoff“ ausscheide. Durch die deutsche Sprachoption auf der italienischen Webseite sei eine Verletzungshandlung in Deutschland nicht begründet worden, da es zum einen keine direkte Bestellmöglichkeit auf der Webseite gegeben habe (keine Benutzung) und zum anderen selbst bei Bestehen einer direkten Bestellmöglichkeit die Verletzung dort begangen werde, wo der Prozess der Veröffentlichung des Angebots in Gang gesetzt wird (hier Italien) und nicht dort, wo das Angebot abrufbar ist (hier Deutschland). Weitergehend sei der zweite Anknüpfungspunkt, das Versenden von Informationen per Email, zwar die ursprüngliche Verletzungshandlung, jedoch sei auch diese nicht in Deutschland begangen worden, da das schadensbegründende Ereignis dort stattfinde, wo der „Senden“-Knopf betätigt werde (hier Italien). Schließlich könne auch nicht an das Verbringen der Ware nach Deutschland angeknüpft werden, da dies nicht die ursprüngliche Verletzungshandlung darstelle und zum anderen schon keine Verletzung durch die Beklagte vorliege, da die Einfuhr durch den Kunden gewünscht war.

Anders habe sich die Beurteilung im Fall der deutschen Marke „Covet“ dargestellt. In diesem Rahmen sei nicht die UMV, sondern Art. 7 Nr. 2 der Brüssel Ia-Verordnung (Nr. 1215/2012) zu berücksichtigen gewesen, wonach eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat, in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden könne, wenn eine unerlaubte Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilde, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei oder einzutreten drohe. Dabei sei es ausreichend, wenn die Verletzung behauptet wird und nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Für die Marke „Covet“, die Schutz nur für Deutschland beansprucht, habe der Bundesgerichtshof demzufolge die internationale Zuständigkeit in Deutschland bejaht, da zumindest die plausible Behauptung einer möglichen Verletzung in Deutschland im Raum gestanden habe. Dieser Unterscheidung zufolge waren die deutschen Gerichte zuständig für die behauptete Verletzung der Marke „Covet“, nicht jedoch für die behauptete Verletzung der Marke „Davidoff“. Der Referent teilte die unter Umständen aufkommenden Zweifel dahingehend, dass die grundsätzlich einen breiteren Schutz bietende EU-Marke möglicherweise den Kläger in ein für ihn ungünstigeres Forum zwingt, während die grundsätzlich „engere“ Marke das gewünschte Forum bietet.

Sodann ging Herr Prof. Ruess auf die mit der Parfummarken-Entscheidung verbundenen Folgen ein. Unter Berufung auf verschiedene Aufsätze in der Literatur vertrat der Referent die Auffassung, dass Art. 125 Abs. 5 UMV die Funktion als Alternative zu zentralen Gerichtsständen verliere, da die ursächliche Handlung oft am Wohnort oder dem Ort der Niederlassung stattfinden werde. Die Begründung der Zuständigkeit deutscher Gerichte werde bei Unionsmarken nach der Parfummarken-Entscheidung schwieriger. Im Zusammenhang dazu gab der Referent der Zuhörerschaft verschiedene Denkanstöße dahingehend mit auf den Weg, wie sich die Entscheidung möglicherweise auf grenzüberschreitende Prozessstrategien auswirkt oder ob gegebenenfalls wieder mehr nationale Marken zur Problemlösung benötigt werden. Eine in einem englischen Beitrag prophezeite Entwertung der Unionsmarken zugunsten nationaler Marken teilte der Referent nicht, wies jedoch darauf hin, dass es sich bei der Parfummarken-Entscheidung immerhin nicht um eine Aufwertung der Unionsmarke handele.

Ganz im Sinne eines klassischen Werkstattgesprächs war es die Absicht des Referenten, die Zuhörer zum Nach- und Weiterdenken anzuregen, weshalb er die Parfummarken-Entscheidung einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 18. Mai 2017 (C-617/15 – Hummel Holding) gegenüberstellte, in der sich der Europäische Gerichtshof ebenfalls mit der Frage der Zuständigkeit befasst habe. Im Besonderen habe es sich um die Frage gehandelt, was unter dem Begriff der Niederlassung im Sinne des Art. 97 Abs. 1 GMV (heute Art. 125 Abs. 1 UMV) zu verstehen sei. Der Europäische Gerichtshof lege den Begriff weit aus und stelle folgende Anforderungen an die Niederlassung: Reale und konstante Präsenz, Ausübung geschäftlicher Tätigkeit, persönliche und materielle Ausstattung sowie dauerhaftes Hervortreten als Außenstelle eines Stammhauses. Irrelevant seien demgegenüber die eigene Rechtspersönlichkeit sowie die Parteirolle. Auch müsse eine Niederlassung nicht zwingend eine Tochtergesellschaft der Partei sein und nicht an der behaupteten Verletzung teilgenommen haben. Ohne eine konkrete Lösung anbieten zu können und um lediglich einen Denkansatz liefern zu wollen, stellte der Referent die beiden Entscheidungen mit dem Ergebnis einander gegenüber, dass der Bundesgerichtshof unter Berufung auf die Entscheidung „Nintendo/Big Ben“ des Europäischen Gerichtshofs die „Tür ganz eng“ mache, während der Europäische Gerichtshof in der Entscheidung „Hummel Holding“ sie „ganz weit“ öffne. Im Grunde entwickele sich der Europäische Gerichtshof damit in zwei verschiedene Richtungen und es stelle sich die Frage, ob die Entscheidung des Bundesgerichtshofs lediglich als Online-Sonderregelung verstanden werden könne, die im „Offline-Bereich“ keine Bedeutung erlangen werde.


III. Abschluss

Im Anschluss an den Vortrag von Herrn Prof. Ruess folgte zwischen dem Referenten und den Teilnehmern des Werkstattgesprächs eine angeregte Diskussion zu den vom Referenten aufgeworfenen Fragen. Die Werkstattgespräche werden im Juni dieses Jahres mit einem lauterkeitsrechtlichen Thema fortgesetzt.

 

WissHK Kornelius Fuchs

 

Details

09.05.2018, 18:00 Uhr - 21:00 Uhr
Zentrum für Gewerblichen Rechtsschutz
Ort: Haus der Universität, Schadowplatz 14, 40212 Düsseldorf
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