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Werkstattgespräch: EU-Patent und Einheitliche Patentgerichtsbarkeit - dicht vor dem Erfolg?

CIP Werkstattgespräche

EU-Patent und Einheitliche Patentgerichtsbarkeit - dicht vor dem Erfolg?

Referent: Prof. Dr. Winfried Tilmann, Of-Counsel, Hogan Lovells International LLP, Düsseldorf

Die Werkstattgespräche auf Schloss Mickeln standen im Oktober dieses Jahres im Zeichen des EU- Einheitspatents. Der Referent, Herr Professor Tilmann, nahm in seinem Vortrag „EU-Patent und Einheitliches Gericht – dicht vor dem Erfolg?“ vor allem zu den sich aus praktischer Sicht stellenden Fragen in diesem Bereich Stellung.

Herr Professor Tilmann begann seinen Vortrag zunächst mit einem kurzen Überblick über die vier Regelungsbereiche des Gesamtpakets zum Einheitspatent, die sich aus der Einheitspatent-VO, der Übersetzungs-VO, dem Gerichtsabkommen und der Verfahrensordnung zusammensetzen. Hierbei ging er als erstes auf die Einheitspatent-VO ein, nach der sich die Entstehung des Einheitspatents richtet. Betont wurde vor allem, dass sich die einheitliche Wirkung des EU-Einheitspatents nur auf den Unterlassungsanspruch bei der Patentverletzung, den weiteren Bestand und die Übertragung bezieht, weshalb in Bezug auf das Einheitspatent nur von einer begrenzt einheitlichen Wirkung gesprochen werden könne. 

Herr Professor Tilmann ging sodann auf die  Übersetzungs-VO ein, nach der eine Übersetzung der Patentschrift nur auf Antrag des Beklagten oder auf Betreiben des Gerichtes erforderlich ist und es ansonsten bei der Veröffentlichung in einer EPA-Amtssprache verbleibt. Während einer Übergangszeit, in der maschinelle Übersetzungen noch nicht möglich sind, sollen deutsche und französische Patente allerdings als Kompromisslösung in die englische Sprache übersetzt werden, während englische Patente in eine beliebige Amtssprache übersetzt werden können.

Beide Verordnungen sollen im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit von lediglich 25 der 27 Mitgliedstaaten verabschiedet werden, da Spanien und Italien das Patent-Paket ablehnen. Der Referent verwies darauf, dass mittlerweile beide Staaten vor dem Gerichtshof Klage gegen den Beschluss der verstärkten Zusammenarbeit eingereicht haben. Nach Einschätzung von Professor Tilmann wird das Gericht die Klage in seiner für Anfang kommenden Jahres vorgesehenen Entscheidung jedoch abweisen.

Im Rahmen des weiteren Überblicks referierte Herr Professor Tilmann kurz über das geplante Gerichtsabkommen, das in seiner jetzigen Fassung nur noch EU-Mitgliedstaaten offen stehe und für EU-Patente ebenso wie für die klassischen europäischen Patente eine internationale Gerichtsbarkeit zur Verfügung stellt. Wesentlicher Aspekt des Gerichtsabkommens sei hierbei, dass das Gericht sowohl für das Einheitspatent, wie auch für das klassische europäische Bündelpatent ein flächendeckendes Verbot für alle Vertragsstaaten aussprechen könne, in denen das Patent gilt. Da eine solch flächendeckende Kompetenz der Kammern auch für andere Entscheidungen, wie die Verpflichtung zur Unterlassung oder Auskunft und Schadensersatz gelte, könne man insoweit von einem prozessualen Einheitspatent sprechen. Durch die sodann thematisierte Verfahrensordnung als 4. Kernpunkt des Regelungspaketes werde schließlich eine internationale Zivilprozessordnung für privatrechtliche Patentstreitigkeiten geschaffen, welche der Referent als ein echtes europäisches Novum bezeichnete.      

Herr Professor Tilmann warf sodann die Frage auf, was sich durch diese anstehenden Regelungen für die Praxis ändern werde. Bis zum Ablauf der Übergangsfrist von 7 Jahren, so der Vortragende, werde sich für das europäische Bündelpatent in der Praxis zunächst nichts ändern, da die Möglichkeit einer rein nationalen Klage grundsätzlich auch während der Übergangsfrist offen stehe. Der Gefahr einer Nichtigkeitsklage vor dem Einheitlichen Patentgericht, könne man dagegen prozesstaktisch durch die während der Übergangszeit bestehende Möglichkeit des opt-out zuvorkommen, durch die das Patent bereits während der Anmeldung aus dem ausschließlichen Gerichtsstand des Einheitlichen Gerichts herausgenommen werden kann. Das einmal erklärte opt-out könne zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückgenommen werden, wobei dann jedoch keine erneute opt-out Möglichkeit bestehe. Für Einheitspatente bestehe die Möglichkeit des opt-out dagegen von vornherein nicht; ab ihrer Entstehung sei vielmehr das Einheitliche Patentgericht ausschließlich zuständig.

Nach Ablauf der Übergangsfrist könne dagegen nur vor dem Einheitlichen Patentgericht geklagt werden, sofern nicht vorher ein opt-out erklärt wurde. Wie Herr Professor Tilmann erklärte, bestünde dann eine ausschließliche internationale und europäische Rechts- und Gerichtsordnung. Auch hierbei bestünde allerdings das Problem des Forum-Shoppings innerhalb des neuen Systems weiterhin. Herr Professor Tilmann ging in diesem Zusammenhang detailliert auf die Gerichtszuständigkeiten bei Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen ein und thematisierte die mit der Einführung einer sog. „Drei-Regionen-Klausel“ verbundenen Folgen.

Herr Professor Tilmann wandte sich als nächstes den relevantesten Fragen der vier Teilbereiche des Einheits-Patentpakets zu, wobei er als erstes auf die Einheitspatent-VO, deren Rechtsgrundlage Art. 118 Abs. 1 AEUV ist, einging. Zunächst wandte sich der Referent hier der Frage zu, ob es sich bei dem Einheitspatent tatsächlich um einen europäischen Rechtstitel im Sinne des Art. 118 Abs. 1 AEUV handelt oder ob es sich nicht vielmehr nur um einen internationalen Rechtstitel mit angehängter unionsrechtlicher Wirkung handele. Als eine der derzeitigen Hauptstreitpunkte in Brüssel bezeichnete der Referent sodann die Frage nach den Voraussetzungen für den „einheitlichen Schutz“ nach Art. 118 AEUV, insbesondere die Frage, ob die Einheitspatent-VO selbst einen Schutzanspruch für den Verletzungsfall enthalten müsse. Vor allem die von britischer Seite angeregte Streichung der Art. 6 bis 8 Einheitspatent-VO, die einen Unterlassungsanspruch und die Beschränkung dieses Anspruches regeln, wird derzeit zwischen dem Rat, der Kommission und dem Parlament heftig diskutiert. 

Weitere Frage in diesem Zusammenhang war, ob es sich bei der Einheitspatent-VO um ein besonderes Abkommen im Sinne des Art. 142 Abs. 1 EPÜ handelt, was der Referent unter Verweis auf die Wiener Vertragsrechts-Konvention bejahte. Im Zusammenhang mit der Einheitspatent-VO ging Herr Professor Tilmann schließlich noch auf die Höhe der Gebühren für die Einheitspatente ein, die so bestimmt werden müssten, dass das Einheitspatent attraktiv für Anmelder sei. Aus deutscher Sicht könne man mit der derzeitigen Verteilung zwar zufrieden sein, jedoch sollen im Rahmen der Übersetzungs-VO für Übersetzungshilfen in Nicht-Amtssprachen zusätzliche Gebühren anfallen.

Im Zusammenhang mit der Übersetzungs-VO ging Herr Professor Tilmann im Weiteren auch auf die von Seiten Italiens und Spaniens geltend gemachte Kritik an der verstärkten Zusammenarbeit ein, nach der das Gebot der Einstimmigkeit nach Art. 118 Abs. 2 AEUV unterlaufen würde. Aus Art. 333 Abs. 1 AEUV ergäbe sich jedoch, dass eine verstärkte Zusammenarbeit gerade auch im Bereich der Einstimmigkeit erlaubt ist. Im Übrigen könne mit dem Einsatz maschineller Übersetzungen der Patentschriften und mit dem Wegfall der Übergangsregelungen für die Übersetzung erst in sechs bis sieben Jahren gerechnet werden. 

Herr Professor Tilmann sprach überdies auf die wichtigsten Fragen zum Gerichtsabkommen an, bei dem es sich um ein rein internationales Abkommen ohne Beteiligung der EU handele. Man könne daher auch von einem EPLA II sprechen. In rechtlicher Hinsicht handele es sich um ein Unterabkommen zum EPÜ, dessen Grundlage Art. 149a EPÜ sei. Im Verhältnis zum Unionsrecht lägen eindeutige (Nichtausübungs-)Erklärungen aller drei EU-Organe vor, aus denen eine Zustimmung zum Abkommen erkennbar sei. Mit Einwänden von Seiten der Union, wie sie seinerzeit gegen das EPLA vorgebracht wurden, sei daher nicht zu rechnen.

Sodann ging Herr Professor Tilmann auf die Probleme ein, die aus dem Verhältnis des Einheitlichen Patentgerichts zum nationalen Recht resultieren. Da das Einheitliche Patentgericht nach Art. 14b des Gerichtsabkommens als Teil des Justizsystems jedes Vertragsstaates gelte, werde das Gericht von den Vertragsstaaten in das jeweilige Gerichtssystem eingegliedert. Hieraus ergebe sich einerseits auch eine Vorlageverpflichtung des Gerichts bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, andererseits seien die Entscheidungen des Einheitlichen Gerichts ohne weiteres vollstreckbar. Weiteres Instrument um die Probleme, die sich aus der Verbindung zum nationalen Recht ergeben, zu beheben sei zudem die ergänzende Verweisung auf das nationale Recht, sowie der Aufbau einer detaillierten Verfahrensordnung, die als Patent-ZPO bezeichnet werden könne. 

Als wesentliches Problem bei der Schaffung des Gerichtsabkommens bewertete Herr Professor Tilmann schließlich das Aufeinandertreffen des nach deutschem Recht traditionell geltenden Trennungsverfahrens mit dem Einheitsverfahren. Zur Lösung des Problems wurde dem Gericht vernünftigerweise, wie der Referent ausführte, ein Wahlrecht eingeräumt, um die Vorteile beider Systeme miteinander zu kombinieren.

Als weitaus weniger gelungen stellt sich nach Auffassung des Referenten dem hingegen die bestehende Regelung zu den ausländischen Richtern dar, nach der sich die jeweiligen Lokalkammern stets aus zwei nationalen und einem ausländischem Richter zusammensetzen. Hier hätte es nach Auffassung von Professor Tilmann ausgereicht eine entsprechende Regelung erst auf der Berufungsebene einzuführen. Stattdessen müssten die Richter im Berufungsverfahren aber sogar aus drei verschiedenen Vertragsstaaten stammen. Auch die Regelung in Bezug auf die technischen Richter sah Herr Professor Tilmann nicht als durchweg gelungen an, da das Gericht auf Antrag einer Partei nach Art 6 Abs. 5 verpflichtet sein soll, einen technischen Richter aus dem Pool beizuziehen. Hierdurch werde es zu einer Behinderung der deutschen Lokalkammern kommen. Sowohl wegen der Regelung zu den ausländischen Richtern, wie auch im Hinblick auf die Regelung zu den technischen Richtern sei es daher zu begrüßen, dass der Verwaltungsausschuss nach Art. 58d sowohl die Verfahrensordnung als auch das Abkommen selbst mit einer ¾ Mehrheit nach Ablauf von 7 Jahren nach Inkrafttreten ändern könne, wenn kein Mitgliedstaat Einspruch einlege.

Herr Professor Tillmann gab sodann einen kurzen Überblick über den aktuellen Sachstand. Hinsichtlich des weiteren zeitlichen Ablaufs begann er hierbei mit dem Gerichtsabkommen, welches durch den juristischen Dienst und den Sprachdienst der Kommission zunächst am 27. September nach seiner Ansicht erfolgreich sprachlich und juristisch überarbeitet wurde.  Die undefinedletzte Fassung des Abkommens stamme indessen erst vom 12. Oktober. Ende Oktober solle der Ausschuss der ständigen Vertreter sodann auch über die durch die “Friends of the Presidency Group” angeregten Änderungen beraten, sodass die Änderungsphase hoffentlich abgeschlossen sei.

Hinsichtlich der Einheitspatent- und Übersetzungs-VOen sollte eine abschließende Einigung bereits im Oktober erzielt werden. Allerdings würden die Verhandlungen wegen der divergierenden Ansichten zur Streichung der Art. 6 bis 8 Einheitspatent-VO derzeit erschwert. Spätestens zur Plenarsitzung des Parlaments im Dezember müsse jedoch eine Einigung hinsichtlich der Art. 6 bis 8 vorliegen. Der Arbeitsausschuss zur Verfahrensordnung tage am 10./11. November erneut, wobei geplant sei, die Verfahrensordnung in dieser Sitzung fertigzustellen. Herr Professor Tilmann sprach schließlich noch an, dass dem Ausschuss zudem eine Liste mit kleineren Mängeln vorliege.  Beispielhaft nannte er hier die Stichworte: Vorbenutzungsrecht auch gegenüber dem Einheitspatent, neuheitsschädliche Wirkung älterer Rechte und vorläufiger Schutz der Patentanmeldung für beide Patente, Erschöpfungsregeln für klassische europäische Patente, SPC-bezogene Regeln für beide Arten von Patenten. Nach Auffassung von Professor Tilmann sei also noch einiges zu tun, jedoch sei auch er der Meinung, dass man in die Schlussphase eingelaufen sei.

Als letzten Punkt wurde den Zuhörern ein kurzer Überblick über die künftige Verfahrensordnung gegeben, die nach Meinung von Herrn Professor Tilmann in der Praxis künftig die größte Bedeutung haben werde. Geplant sei hierbei vor allem eine Verfahrensdauer von maximal einem Jahr. Von wesentlicher Bedeutung sei auch, dass die Parteien im Prozess bereits im ersten Schriftsatz alle relevanten Umstände vorbringen müssen (sog. Up-front-Verfahren). Ferner solle das Gericht künftig ein aktives Verfahrensmanagement betreiben. Dieses solle von einem  Berichterstatter (judge rapporteur) geleitet werden, da sich an die Schriftsatzphase ein Zwischenverfahren anschließen soll, in dem die mündliche Verhandlung vorbereitet werde. Herr Professor Tilmann wies weiter auf die Möglichkeit des Gerichts hin, die in der Durchsetzungs-RL vorgesehenen Beweishilfen zu gewähren. Schwierigkeiten bereite zudem derzeit noch die Zustellung der ersten Schriftsätze im internationalen Verfahren, wie auch die vorgesehene Durchführung des fakultativen Trennungsverfahrens. Im Berufungsverfahren, so Herr Professor Tilmann weiter, solle grundsätzlich kein neuer Tatsachenvortrag möglich sein. Ein Wiederaufnahmeverfahren solle zudem nur in wenigen Fällen möglich sein. So etwa bei strafbaren Handlungen, groben Verfahrensverstößen oder bei Durchführung des Trennungsverfahrens, wenn über die Verletzung bereits entschieden wurde und das Patent dann erst danach vernichtet werde. Die Entscheidungen des Gerichts seien zudem wie nationale Urteile unmittelbar vollstreckbar. Abschließend ging der Referent noch auf die Gebührenregelungen ein. Nach Meinung von Herrn Professor Tilmann stellt die Verfahrensordnung dem Praktiker insgesamt ein handhabbares Instrument zur Verfügung, das je nach Art des Falles ausgiebig oder schnell und schlank genutzt werden könne.

Abschließend erklärte Herr Professor Tilmann, dass man nunmehr nach Verabschiedung des Paketes, nur noch die richtigen Richter finden müsse, damit Europa und sein Patentrecht einen großen Schritt weiter seien. Das Übereinkommen über das Einheitliche Patentgericht bedürfe allerdings noch der Ratifizierung einer ausreichenden Anzahl der Mitgliedstaaten (mindestens 13). Den für Anfang 2014 geplanten Termin zum Inkrafttreten werde man allerdings nach Meinung des Referenten kaum einhalten können.

In der abschließenden Diskussion wurden die Einzelheiten des geplanten Patentpakets unter den Teilnehmern vertieft diskutiert. Insbesondere die praktische Ausgestaltung des künftigen Verfahrens war hier Gegenstand der Diskussion.


Wiss. Mit. Behyad Hozuri

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17.10.2012, 18:00 Uhr - 20:00 Uhr
Zentrum für Gewerblichen Rechtsschutz, im Rahmen der DLS
Ort: Schloss Mickeln, Blauer Salon
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