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Werkstattgespräch: Neue Entwicklungen zur Patentierung von Software und Verwendung von Methoden der KI

CIP Werkstattgespräche

111. Werkstattgespräch, am 15. Juli 2021:

Neue Entwicklungen zur Patentierung von Software und Verwendung von Methoden der KI am Beispiel der Medizintechnik

Referentinnen: Dr. Claudia Schwarz, Schwarz + Kollegen Patentanwälte, München; Sabine Kruspig, Schwarz + Kollegen Patentanwälte, München

 

I. Am Mittwoch, den 15.07.2021, hielten Frau Dr. Claudia Schwarz und Frau Sabine Kruspig, Patentanwältinnen bei Schwarz + Kollegen Patentanwälte in München, im Rahmen des 111. Werkstattgesprächs einen Vortrag. Das Thema lautete „Neue Entwicklungen zur Patentierung von Software und Verwendung von Methoden der KI am Beispiel der Medizintechnik“.

Zu Beginn stellte Frau Dr. Schwarz die Entscheidung G1/19 der großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA) vor. Hierin habe die Kammer den COMVIK-Ansatz bestätigt. Die Definition von Technik müsse ausdrücklich offenbleiben. Die Beschwerdekammer habe hervorgehoben, dass stets eine Verbindung der Erfindung zur realen technischen Welt erforderlich sei. In der Praxis könne dies dazu verleiten, vorausgegangene oder an die Erfindung anschließende technische Verfahrensschritte mit in den Anspruch aufzunehmen.

Daran anschließend stellte Frau Dr. Schwarz heraus, dass die Merkmale des Zugangs zum Patentschutz und der erfinderischen Tätigkeit in der Praxis häufig vermischt würden. Darum sei es wichtig, die Verbindung einzelner Merkmale einer Patentanmeldung zur Technik herauszuarbeiten. Bei technischen und nicht-technischen Merkmalen müsse geprüft werden, ob diese zur technischen Problemstellung beitragen.

Frau Dr. Schwarz wies darauf hin, dass aufgrund der unscharfen Vorgaben durch G1/19 nächste Gerichtsentscheidungen abzuwarten seien.

 

II. Im nächsten Abschnitt stellte Frau Kruspig typische Problemfelder auf dem Gebiet computerimplementierter Erfindungen (CII) vor.

Der erste Bereich beinhaltete eine Übersicht über die Technologie. Heute seien die Informationsprozesse im Computer stärker vernetzt und komplexer geworden. Die alte Computertechnik sei aber als Grundlage in der KI noch immer relevant. Vielerorts werde KI als neue „Elektrizität“ angesehen. Die maschinelle Verarbeitung in der Medizintechnik umfasse einen großen Bereich davon. Die dabei verarbeiteten großen Datenmengen würden durch Maschinen analysiert und beschleunigt.

Bei einer Recherche müssten Ansprüche und Beschreibungen für die Auslegung des Patentanspruchs herangezogen werden. Im Prüfungsverfahren werde aber häufig allein der Anspruch gelesen. Folglich müsse dieser klar formuliert werden. Das sei bei komplexen Anmeldungen problematisch. Frau Kruspig sah hier das Problem der Vermischung der Merkmale der Klarheit und der Technizität.

 

III. Im nächsten Teil führte Frau Kruspig Fälle zur Klarheit von CII an. Der Inhalt des Anspruches habe sich in den letzten Jahren gewandelt. Unklar sei, ob der Algorithmus als Programmgrundlage zu nennen sei oder das von der Patentierung ausgeschlossene Programm als solches. In einer Pressemitteilung zur Entscheidung G1/19 sei die Sichtweise dargestellt worden, dass ein nicht-technisches Computerprogramm von der Patentierung ausgeschlossen sei. Daraus ergäben sich Unklarheiten für die Anwendung in der Praxis.

Außerdem sei vermehrt die oft unscharfe und sich schnell ändernde Sprache der Informatik bei der Klarheit zu berücksichtigen. Informatiker seien auf die Schaffung neuer Begriffe angewiesen (T 1499/17). Fraglich sei, wer als „Fachmann“ zur erfinderischen Tätigkeit hinzugezogen werden müsse (T 0926/08).

Weiterhin nannte Frau Kruspig den hohen Abstraktionsgrad innerhalb von Anspruch und Anspruchsbeschreibung (T 1565/17). In der Medizintechnik seien zusätzliche Einschränkungen über Art. 53 (c) EPC zu berücksichtigen (T 0944/15).

 

IV. Ein ebenfalls bedeutsamer Bereich auf dem Gebiet CII stelle die Ausführbarkeit (T 2045/13) dar. Es sei umstritten, ob bspw. Trainingsdaten als Bestandteil der Offenbarung eingereicht werden könnten (T 0161/18). Fehlende Informationen müssten als Teil des allgemeinen Fachwissens eingeordnet werden können (T 0809/13). Für die Ausführbarkeit habe sich das EPA etwa bei Vorliegen allgemein bekannter Algorithmen entschieden (T 0466/09).

 

V. Im Anschluss daran kam Frau Kruspig auf die erfinderische Tätigkeit zu sprechen. Der Aufgabe-Lösungs-Ansatz trage zur Einordnung eines Gegenstandes als „erfinderisch“ bei. Es bedürfe der Bestimmung des nächstliegenden Standes der Technik und der Bestimmung der zu lösenden technischen Aufgabe. Zuletzt müsse die Frage geprüft werden, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der objektiven technischen Aufgabe für den Fachmann naheliegend gewesen wäre. Dieser Ansatz sei durch die Entscheidung G1/19 bestätigt worden.

Auf dem Gebiet gemischter Ansprüche sei der Ansatz komplexer. Zunächst werde der technische Charakter einzelner Merkmale herausgearbeitet. Im Anschluss folge der nächstliegende Stand der Technik. Im Folgenden müssten Unterschiede gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik ermittelt werden. Bei einem Ergebnis mangelnder Neuheit stelle sich die Frage, ob technische oder fotografische Neuheit geprüft werde. Ohne technischen Beitrag entfalle jedenfalls der erfinderische Charakter der Merkmale.

Frau Kruspig nannte die vom EPA herausgearbeiteten weiteren Kriterien für den technischen Charakter: die „weitere technische Wirkung“ (T 1173/97) und „weitere technische Überlegungen“ (G3/08), Es folgten einzelne Beispiele zur Kombination technischer und nicht-technischer Merkmale (Bsp. T 0336/14, T 1670/07, T 1985/16). Frau Kruspig stellte insgesamt die Wechselwirkungen zwischen Klarheitseinwänden, dem Einwand unzulässiger Erweiterung und der unzureichenden Offenbarung bei gemischten Erfindungen dar.

 

VI. Im letzten Teil des Vortrags behandelte die Referentin das Thema der Anspruchsformen. Anordnung und Verfahren seien als Grundlage einzuordnen. Die moderne Technik habe zu Erweiterungen in diesem Bereich beigetragen. Diese seien in den Richtlinien des EPA niedergeschrieben. Beispielhaft nannte Frau Kruspig universell anwendbare Faktoren und deren Verknüpfung mit einem Computerprogramm (Computerprogrammprodukt T 1173/97, Datenstrukturprodukt T 1194/97). Ansprüche könnten etwa bzgl. Datensende- und/oder Datenempfangsverfahren, Schaltkreisen etc. bestehen. Trotz der Erweiterung der Formulierungen müsse stets der Einheitlichkeit Beachtung geschenkt werden.

 

VII. Abschließend stellte Frau Kruspig die aktuellen Herausforderungen im Patentrecht heraus. Dazu zählten die wachsende Komplexität an Verbindungen/dynamischen Veränderungen sowie deren Auswirkungen auf die Ausführbarkeit und Beschreibung in der Anmeldung. Außerdem sei die Trennung technischer und nicht-technischer Elemente nicht mehr ohne weiteres möglich. Häufig würden vermehrt vorgefertigte Softwareentwicklungssysteme genutzt, wobei dem Entwickler nicht mehr alle Einzelheiten bekannt seien. Zuletzt stelle sich die Frage nach dem Inhalt des Patentanspruchs (Programm oder Verfahren als Grundlage). Der Begriff der Technizität müsse trotz fehlender Definition heutzutage eine Erweiterung erfahren.

 

Es folgte eine angeregte Diskussion zur Auslegung des Technizitätsbegriffs, deren internationale Auswirkungen und der Komplexität von KI im heutigen Patentrecht.

 

 

Wiss. Mit. Ann-Christin Uhl

Zentrum für Gewerblichen Rechtsschutz

 

Die Werkstattgespräche werden voraussichtlich im Oktober fortgeführt.

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15.07.2021, 18:00 Uhr - 21:00 Uhr
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