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Werkstattgespräche: Das Grenzbeschlagnahmeverfahren nach der Entscheidung Diesel./.Montex

CIP Werkstattgespräche

Das Grenzbeschlagnahmeverfahren nach der Entscheidung Diesel./.Montex

Referent: Dr. Sandra Rinnert, LL.M.
Fachhochschule des Bundes - Fachbereich Finanzen, Münster

 

Wiss. HK Christian Rütz, LL.M.

I. Einleitung
Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr befasste sich das Werkstattgespräch auf Schloss Mickeln in diesem Jahr mit grenzüberschreitenden Immaterialgüterrechtssachverhalten. Während im Januar grenzüberschreitende Patentverletzungsverfahren und grenzüberschreitende Beweisverfahren beleuchtet wurden, widmete sich die Veranstaltung am Aschermittwoch der materiellen Immaterialgüterrechtsverletzung durch grenzüberschreitende Warentransporte und den Voraussetzungen einer Grenzbeschlagnahme nach der Grenzbeschlagnahmeverordnung 1383/2003. Als kundige Referentin stand Dr. Sandra Rinnert zur Verfügung, die in ihrer ehemaligen Tätigkeit als Rechtsanwältin und aktuell als Dozentin an der Hochschule für Finanzen des Bundes mit der Materie eng vertraut ist.
Einleitend erläuterte Prof. Dr. Busche, dass mit der Entscheidung des EuGH, CIPR 2007, S. 7 (Diesel/Montex) das Thema Grenzbeschlagnahme nicht an Aktualität verloren habe, sondern dass trotz der warenverkehrsfreundlichen Rechtsprechung in dem konkreten Fall nach wie vor viele Unklarheiten auf diesem Feld bestünden.
Dr. Rinnert erläuterte, dass nach der Entscheidung Diesel/Montex bei Waren, die im externen Versandverfahren, also im Transit, durch die Gemeinschaft geführt werden, keine Grenzbeschlagnahme mehr möglich sein dürfte. Wie schon in der Entscheidung Class Unilever (EuGH, CIP-Newsletter 1/2006, S. 9) habe der EuGH klargestellt, daß eine Markenverletzung im Sinne des harmonisierten Markenrechts nur vorliege, wenn bei der Durchfuhr Handlungen vorgenommen würden, die zwangsläufig das Inverkehrbringen der Ware bedeuten. Da eine Beschlagnahme nach der Verordnung 1383/2003 ihrerseits den Verdacht einer Markenverletzung voraussetze, sei mit der Entscheidung des EuGH auch der Anwendungsbereich der Grenzbeschlagnahmeverordnung eingeschränkt.

II. Sachverhalt und EuGH-Entscheidung
Montex stellt Jeanshosen her, indem sie die einzelnen Teile einschließlich der Kennzeichnungsmittel im Wege des Zollverschlußverfahrens nach Polen bringt, dort zusammennähen lässt und die fertigen Hosen nach Irland zurückführt. In Irland hat Diesel für das Zeichen keinen Schutz. Am 31. Dezember 2000 hielt das Hauptzollamt Löbau – Zollamt Zittau – eine für Montex bestimmte Warenlieferung von 5 076 Damenhosen, versehen mit der Bezeichnung DIESEL, zurück, die eine ungarische Spedition per Lkw von dem polnischen Fertigungsbetrieb über deutsches Gebiet zu ihr bringen sollte. Die Hosen sollten in einem durchgehenden Versandverfahren vom polnischen Zollamt bis zum Zollamt in Dublin befördert werden, wobei sie mit einem vom polnischen Zollamt angelegten Raumverschluss am Beförderungsmittel gegen eine etwaige Entnahme während des Versandverfahrens gesichert waren.
Montex erhob gegen die Anordnung der Beschlagnahme der fraglichen Waren Widerspruch. Sie ist der Auffassung, dass die bloße Durchfuhr von Waren durch deutsches Gebiet kein Recht aus der Marke verletze. Nach Ansicht von Diesel stellt die Durchfuhr eine Verletzung ihres Kennzeichenrechts dar, weil die Gefahr bestehe, dass die Waren im Durchfuhrmitgliedstaat in den Verkehr gelangen könnten. Diesel beantragte daher, Montex zu verbieten, ihre Waren durch das deutsche Gebiet durchzuführen oder dies zu veranlassen. Sie beantragte außerdem, Montex zu verurteilen, in die Vernichtung der beschlagnahmten Waren einzuwilligen oder nach ihrer Wahl alle Etiketten und sonstigen Kennzeichnungen mit der Bezeichnung DIESEL zu entfernen und in die Vernichtung dieser Kennzeichen einzuwilligen sowie die Kosten der Vernichtung zu tragen.
Nachdem Montex in erster und zweiter Instanz verurteilt worden war, legte sie Revision zum Bundesgerichtshof ein. Dieser hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung der Markenrechtsrichtlinie in Durchfuhrfällen vorgelegt, vgl. BGH, CIP-Newsletter 3/2005 (DIESEL).
Die drei Kernthesen der Diesel/Montex-Entscheidung des EuGH, CIPR 2007, S. 7 lauten nach Rinnert:
- Das externe Versandverfahren beruht auf einer Fiktion, dass die Ware gar nicht in das Zollgebiet gelangt, weil keine Einfuhrabgaben erhoben werden. Die zollrechtliche Fiktion, wonach die Waren nicht in das Zollgebiet gelangt sind, wird auf die markenrechtliche Beurteilung des Einfuhrtatbestands übertragen.
- In der reinen Durchfuhr liegt kein Inverkehrbringen, daher ist der spezifische Gegenstand des Markenrechts nicht verletzt.
- Bei Versand- oder Zollagerverfahren ist nur dann von einer Markenverletzung auszugehen, wenn während der Verfahren Handlungen vorgenommen werden, die notwendig das Inverkehrbringen der Waren in dem jeweiligen Mitgliedsstaat nach sich ziehen.

III. Rechtsgrundlagen: Zollverfahren und Verdacht der Rechtsverletzung
Dr. Rinnert erläuterte im Folgenden die Rechtsgrundlagen der Grenzbeschlagnahme nach der Verordnung 1383/2003 und die Verzahnung mit dem materiellen Markenrecht (Art. 14 Abs. 2 und 3 MarkenG bzw. Art. 9 Abs. 1 GMV), wonach bestimmte Benutzungsformen wie die Kennzeichnung oder der Besitz der Ware wegen der verdichteten Gefahr der Begehung der Zeichenverletzung erfasst seien und so eine Vorverlagerung des Abwehrrechts erfolgt sei, und der Zollverfahren nach dem Zollkodex der Gemeinschaft.
Vorraussetzung einer Grenzbeschlagnahme gemäß Art. 1 Abs. 1 GrB-VO sei hiernach, dass sich die Waren in bestimmten Zollverfahren befinden, und dass der Verdacht besteht, ein Recht des geistigen Eigentums werde verletzt.
Zur ersten Vorraussetzung erläutert Rinnert, dass die zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren, zu denen das externe Versandverfahren gehört, häufige Anwendungsfälle von Grenzbeschlagnahmefällen bilden. Die Referentin gab einen Überblick über weitere zollrechtliche Bestimmungen einer Ware, wie die Überführung in den freien Verkehr, die den Statuswechsel von Nichtgemeinschaftswaren zu Gemeinschaftswaren herbeiführe, das Zollagerverfahren, das nach dem EuGH in immaterialgüterrechtlicher Sicht wie das externe Versandverfahren zu behandeln sei, und die vorübergehende Verwendung, bei der die Waren Nichtgemeinschaftswaren blieben und das in Messe-Fällen zum Einsatz käme.
Zum Verdacht der Schutzrechtsverletzung weist Rinnert darauf hin, dass nach Art. 2 der GrenzbeschlagnameVO keine materielle Prüfung der Schutzrechtsverletzung durch die Zollbehörden zu erfolgen habe und daß die Verordnung ebenso wie die zugehörige Dienstanweisung der Zollbehörden keine Erläuterung dessen enthalte, was unter einem „Verdacht“ im Sinne der VO zu verstehen sei. Während für die nationale Grenzbeschlagnahme (z.B. in § 146 MarkenG) eine „offensichtliche“ Rechtsverletzung verlangt ist, geht Rinnert davon aus, dass für die Beschlagnahme nach der Verordnung die bloße Möglichkeit einer Markenverletzung ausreicht. Dies folge aus dem Regelungszweck der Verordnung, die ein Tätigwerden der Zollbehörden ermögliche, wenn eine gerichtliche Entscheidung über die Markenverletzung noch nicht vorliegt, und aus deren Aufbau (Art.9 = Verdacht -> Zollbehörde; Art. 10, 13 = Rechtsverletzung -> Gericht).
Sodann geht Rinnert auf die warenzeichenrechtliche Unterscheidung zwischen dem reinen Transit, bei dem der BGH keine Rechtsverletzung annahm, und der Durchfuhr im weiteren Sinne (unter Einbeziehung eines Veräußerungsgeschäfts), die zur Markenverletzung führen sollte, ein. Im Diesel-Vorlagebeschluss hatte der BGH angedeutet, dass er an dieser Rechtsprechung festhalten möchte. Erste Entscheidungen des EuGH zur Grenzbeschlagnahmeverordnung und deren Vorgängern hätten indes, so Rinnert, die materiellrechtliche Frage der Markenverletzung durch den Transit unter Geltung des europäischen Markenrechtsrichtlinie bzw. der GMV noch nicht beantwortet, sondern lediglich den Anwendungsbereich der GrenzbeschlagnahmeVO bzw. PrPVO thematisiert. Erstmals in der Entscheidung EuGH CIP-Newsletter 1/2006, S. 9 (Class Unilever) habe der EuGH die Besonderheiten der Zollverfahren herausgestellt und entschieden, dass ein bloßes körperliches Verbringen einer Ware in die Gemeinschaft noch nicht zu einer markenrechtlichen „Einfuhr“ führe. In Diesel/Montex sei diese Rechtsprechung fortgeführt und klargestellt worden, dass die bloße Gefahr des Inverkehrbringens nicht zur Annahme einer Markenverletzung genüge. Vielmehr seien für die Annahme der Markenverletzung Handlungen vorauszusetzen, die notwendig das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft bedeuten.
Dies bedeute, so Rinnert, in der Konsequenz, daß bei bloßen Versandverfahren künftig nicht mehr von einem Verdacht der Rechtsverletzung auszugehen sei. Der Begriff des „Inverkehrbringens“ sei zudem nicht zollterminologisch im Sinne der Überführung in den freien Verkehr zu verstehen, sondern vielmehr im Sinne eines In-den-Markt-Bringens, Absatzes bzw. Feilhaltens. Insgesamt sei die EuGH-Entscheidung warenverkehrsfreundlich und daher zu begrüßen.

IV. Bedeutung für andere Nichterhebungsverfahren
Im weiteren ging Dr. Rinnert der Frage nach, ob die EuGH-Entscheidung auch für andere Nichterhebungsverfahren, insbesondere die vorübergehende Verwendung, bedeutet, dass kein Verdacht einer Schutzrechtsverletzung vorliegen könne. Für die vorübergehende Verwendung werden Waren vollständig oder teilweise von Zöllen und Einfuhrabgaben befreit, sie bleiben während der Verwendung Nicht-Gemeinschaftswaren. Dennoch sieht Rinnert für Messewaren eine andere Beurteilung als für die Durchfuhr von Waren geboten: die Waren seien in diesen Fällen für Marktteilnehmer sichtbar, es läge in der Regel ein Anbieten oder jedenfalls ein Besitz zum Zwecke des Anbietens vor; in dieser Weise sei regelmäßig der spezifische Gegenstand des Markenrechts betroffen.

V. Diskussion
In der von Herrn Prof. Busche mit einem Lob für die anschauliche Darstellung der zollrechtlichen Besonderheiten und mit der Bemerkung, die Zollverfahren würden wohl nicht die Markenverletzung präjudizieren, eingeleiten Diskussion wurde insbesondere die Behandlung von Messegut thematisiert. Der praktische Ablauf eines Zollbeschlagnahmeverfahrens auf Messen ebenso wie in den Transportfällen fand das besondere Interesse der Teilnehmer. So wurde etwa dargestellt, welche Konsequenzen der nicht-ordnungsgemäße Abschluß eines Versandverfahrens für den Zollschuldner habe (Such- und Mahnverfahren, zollschuldrechtliche Zahlungsverpflichtung, Steuerordnungswidrigkeit). Einig waren sich die Teilnehmer in der Annahme, dass sich Marken- und Produktpiraten wohl weniger der Versandverfahren mit all ihren Förmlichkeiten, als vielmehr des Einschmuggelns der Ware bedienten.
Insgesamt müsse eine Auslegung der Grenzbeschlagnahmeverordnung wie der materiellen Schutzrechtsgesetze schutzzweckorientiert erfolgen. Der Vorschlag, die materiellen Gesetze auf die Terminologie des Zollrechts hin anzupassen, wurde von der Referentin ebenso skeptisch beurteilt wie die Frage, ob eine mögliche Verletzung des Ziellandrechts bereits für die Durchfuhr Unregelmäßigkeiten und damit notwendig ein Inverkehrbringen im Durchfuhrland indiziere; dies könne nicht angenommen werden, da nicht von vorneherein feststehe, ob durchgeführte Waren im Zielland nicht ebenso nur gelagert oder weiter transportiert werden sollten. 

 

Details

06.02.2008, 18:00 Uhr - 20:00 Uhr
Ort: Schloss Mickeln, Blauer Salon
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