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Werkstattgespräche: Biopatentierung am Scheideweg? Patentierung auf dem Gebiet der human-embryonalen Stammzellforschung

CIP Werkstattgespräche

Biopatentierung am Scheideweg? Patentierung auf dem Gebiet der human-embryonalen Stammzellforschung

Referent: Priv.-Doz. Dr. Hans-Georg Dederer, Tübingen 
 

Wiss. HK Christian Steigüber

Die Patentierung auf dem Gebiet der human-embryonalen Stammzellforschung gehört gegenwärtig zu den umstrittensten Feldern der Biopatentierung. Auf Antrag von Greenpeace hat das Bundespatentgericht ein Patent des Bonner Stammzellforschers Oliver Brüstle für teilnichtig erklärt. Nach den Urteilsgründen wären human-embryonale Stammzellen und daraus abgeleitete Zellen sowie zugehörige Herstellungsverfahren nicht mehr patentierbar. Befindet sich danach die Biopatentierung am Scheideweg? Der Vortrag von Priv.-Doz. Dr. Hans-Georg Dederer (Bonn/Tübingen) ging dieser Frage nach.

Herr Dr. Dederer begann seinen Vortrag einführend mit den Grundlagen des Biopatentrechts und hob hervor, dass sich human-embryonale Stammzellen (hESZ) durch ihre sogenannte Pluripotenz auszeichnen. Das bedeutet, dass sie sich zu jedem Zelltyp eines Organismus ausdifferenzieren können, da sie noch auf keinerlei bestimmten Gewebetyp festgelegt sind. Jedoch sind sie, im Gegensatz zu totipotenten Stammzellen, nicht mehr in der Lage, einen gesamten Organismus zu bilden, da pluripotente Zellen keine extraembryonalen Gewebe bilden können. Die Entwicklung zum Gesamtindividuum aus hESZ sei also nicht möglich.
Trotzdem dürfe die Bedeutung der Forschung im Bereich der hESZ nicht unterschätzt werden, insbesondere seien Auswirkungen auf zellbasierte Therapien für schwere Krankheiten wie Parkinson und Multiple Sklerose zu nennen. Die Forschung im Bereich der Reprogrammierung (totipotenter) adulter Stammzellen durch Aufklärung der Mechanismen der Zelldifferenzierung könne positiv beeinflusst werden und die eventuell forcierte Aufklärung menschlicher Embryonalentwicklung könne helfen, um z.B. Phänomene wie Spontanaborte zu erklären.

Trotz dieser zweifelsohne begrüßenswerten Ziele der hESZ-Forschung entstehe ein ethisches Dilemma wegen des Mittels der Forschung. Diese sei gekennzeichnet durch den fremdnützigen Verbrauch der Embryonen zur Gewinnung der hESZ.

Als Beispiel der Patentierung auf dem Gebiet der hESZ-Forschung wurde anschließend das „Brüstle-Patent“ und der darum entbrannte Streit dargestellt.
Das Patent wurde für sogenannte hESZ-Derivate (neutrale Vorläuferzellen) und deren Herstellungs- und Verwendungsverfahren erteilt, nicht aber für hESZ als solche! Das Bundespatentgericht (BPatG) hat am 05.12.2006 (GRUR 2007, 1049 ff.) nichtsdestotrotz die Teilnichtigkeit des Patents festgestellt, soweit die in Rede stehenden Zellen aus embryonalen Stammzellen von menschlichen Embryonen gewonnen werden. Nun ist ein Rechtsstreit vor dem Bundesgerichtshof anhängig.
Das BPatG beruft sich auf den Patentierungsausschluss des §§ 2 I und 2 II Nr.3 PatG. Der ordre-public-Vorbehalt aus § 2 I PatG würde greifen, wenn die Verwertung der Erfindung des Streitpatents jedenfalls nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen in dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtigkeitsklage gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstößt. Dies bejahte das Gericht. Es wurde ein Verstoß gegen § 2 II Nr.3 PatG festgestellt, da die Verwendung von Embryonen nicht eng ausgelegt auf den Erfindungsgegenstand bezogen werden dürfe. Es muss auch eine notwendige Vorstufe der Erfindung in Betracht gezogen und als Maßstab verwendet werden. Die Herstellung der hESZ-Derivate sei aber eben nicht unabhängig von der Vernichtung von Embryonen zu erreichen. Das BPatG führt aus: „Stellt der Verbrauch menschlicher Embryonen einen Schritt dar, der zur Bereitstellung des beanspruchten Erzeugnisses oder zur Durchführung des Verfahrens unabdingbar und in der Patentschrift zudem ausdrücklich beschrieben ist, kann er nicht deshalb als unbeachtlich ausgeklammert werden, weil er vorgelagert ist und damit nur mittelbar zu dem Gegenstand der Erfindung gehört. Eine derartige Sichtweise würde den vom Gesetzgeber beabsichtigten Schutz der verfassungsrechtlich garantierten menschlichen Würde der Embryonen auf eine ungerechtfertigte und nicht nachvollziehbare Weise umgehen“ (GRUR 2007, 1049, 1053).

Nach einigen Ausführungen zum institutionellen und rechtlichen Rahmen des Streits, bezüglich der Zulässigkeit der Patenterteilung für hESZ, referierte Dr. Dederer zum Verhältnis der Ethik und des Patentrechts. Seines Erachtens sind die Berührungspunkte bewusst gering zu halten und finden ihren Ausfluss im bloßen Minimalstandard der Sittlichkeitsklausel bzw. ordre public-Vorbehalt des § 2 I PatG. Dessen Konkretisierungen in Form des § 1 a) PatG und § 2 II 1 Nr.3 PatG waren dann unter dem Gesichtspunkt von Auslegungs- und Anwendungsgrundsätzen der Rechtsprechung Gegenstand weiterer Ausführungen. Der Referent führte aus, dass wegen der Differenzierung von Ethik und Patentrecht die Erteilungsausschlüsse eng ausgelegt werden sollen. Die Liste des § 2 II PatG müsse aber zwingend für die Mitgliedsstaaten sei, da dem EuGH zufolge die europarechtliche Vorgabe aus Art. 6 II RL 98/44/EG ohne Wertungsspielraum umzusetzen sei. Trotzdem stehe der Rückgriff der Mitgliedsstaaten auf den ordre-public-Vorbehalt offen.

Anschließend legte der Referent seine Einschätzung der Rechtslage bezüglich der Patentierungsmöglichkeiten von hESZ dar. Ein Ausschluss nach § 1 a) PatG komme bei pluripotenten Zellen keinesfalls in Betracht, die Hürde des § 2 II 1 Nr.3 PatG stelle hingegen ein größeres Problem dar. Zum einen muss die „Verwendung menschlicher Embryonen“ gegeben sein. Hier kommt der Referent zu einer engen Auslegung dieses Tatbestandsmerkmal, als gegenwärtig das EPA in seiner „WARF-Patent“-Entscheidung vom 13.07.2004 (nicht rechtskräftig). Nach Auffassung des Referenten muss die Verwendung menschlicher Embryonen conditio sine qua non für die zukünftige gewerbliche Verwendung der Erfindung sein. Maßgebend sei die Anmeldungsbeschreibung der Erfindung, nicht Umstände außerhalb der Anmeldung und die Embryonenverwendung in der Vergangenheit. Das Tatbestandsmerkmal „zu industriellen oder kommerziellen Zwecken“ müsse ebenfalls, anders als in der „WARF-Patent“-Entscheidung, so ausgelegt werden, dass eine Patentierung möglich bleibt, wenn therapeutische oder diagnostische Zwecke verfolgt werden. Dieses Argument sei dem eindeutigen Wortlaut des 42. Erwägungsgrund der RL 98/44/EG zu entnehmen. Den Schluss des EPA von einer möglichen gewerblichen Verwendung auf eine industrielle hält der Referent vor diesem Hintergrund für einen „Kurzschluss“. Der Ausschluss des § 2 II 1 Nr.3 PatG greife nur, wenn der „industrielle oder kommerzielle Zweck“ alleiniger denkbarer Zweck der Embryonenverwendung sei, nicht aber ein anderer Zweck denkbar sei und zwar unabhängig von einer etwaigen Fremdnützigkeit. In Deutschland bleibt hier jedoch Raum für die Anwendbarkeit des § 2 I PatG. Dem Referent zufolge ist dieser einschlägig, wenn die Embryonenverwendung conditio sine qua non für die gewerbliche Verwertung der Erfindung ist und die Verwendung dem Embryonen nicht als solchem zugute kommt. Abzustellen sei hier auf die Grundsatzentscheidung des deutschen Gesetzgebers in § 2 I ESchG. Dr. Dederer wies jedoch zugleich auf den Widerspruch zum Regelungsansatz in § 4 III StZG hin. Im Ergebnis sei festzuhalten, dass in Deutschland durch das DPMA die zusätzliche Voraussetzung der „Nicht ausschließlichen Fremdnützigkeit des Embryos“ als Patentierungshürde für hESZ-Patente formuliert werde. Dies mache den Unterschied zur Rechtsprechung des EPA.

Folgend wurde die Rechtslage bezüglich der Patentierung der Gewinnung von hESZ beleuchtet. Hier wurde auf die Ergebnisse verwiesen, die zur Patentierung der hESZ selbst gefunden wurden, wobei ein gangbarer Weg zur Anwendung der Vorschrift des § 2 II 1 Nr.3 PatG aufgezeigt wurde, der den Ausschluss der Patenterteilung verhindert. So könne man die pluripotenten Zellen eventuell von dem Begriff der Embryonen mangels voller Entwicklungsfähigkeit unterscheiden.

Die Patentierung von hESZ–Derivaten, die Gegenstand des „Brüstle-Patents“ sind, ist Dr. Dederer zufolge nicht vom Ausschluss des § 2 II 1 Nr.3 PatG erfasst. Grundlage aller Überlegungen sei die Frage, ob totipotente Stammzellen, also Embryonenmaterial, nach der Patentanmeldung unabdingbar zur Herstellung sind. Wenn dies der Fall sei, sei auch der Ausschluss einschlägig.
Für den Referenten ist im konkreten Fall des „Brüstle-Patents“ eine „falsa demonstratio non nocet“-Konstellation gegeben. Brüstle habe in der Anmeldung das Wort „totipotent“ verwendet, obwohl nach dem Sinnzusammenhang der Anmeldung, die insoweit ihr „eigenes Lexikon schreibe“ gemeint sei. Des Weiteren sei die Embryonenverwendung nicht conditio sine qua non für die gewerbliche Verwertung der Erfindung. Es habe (zumindest im Zeitpunkt der BPatG Entscheidung) alternatives Ausgangsmaterial, wie etwa existierende hESZ-Linien oder embryonale Keimzellen gegeben. Ob hESZ, gemeint ist also das Ausgangsmaterial der Derivate, von einem sittlichen Makel behaftet sind, so dass § 2 I PatG greift, bezweifelt Dr. Dederer. Eine Konstruktion wie die „Früchte des verbotenen Baumes“ sei nicht angezeigt. Zum einen sei die Embryonenverwendung in der Vergangenheit irrelevant und zum anderen könnten Stichtags-Stammzellen zulässigerweise verwendet werden.

Als Ergebnis der Ausführungen ließ sich also festhalten, dass sich ein Patenterteilungsausschluss in den genannten drei Fallgruppen nur auf § 2 I PatG stützen lässt, nicht aber auf § 2 II 1 Nr. 3 PatG bzw. die entsprechenden europäischen Regelungen. Grund ist die fehlende Embryonenverwendung allein zu industriellen oder kommerziellen Zwecken.
In Deutschland lasse sich aber ein Ausschluss auf § 2 I PatG stützen, wenn die Embryonenverwendung conditio sine qua non für die gewerbliche Verwertung der Erfindung ist und die Embryonen dabei ausschließlich fremdnützig und nicht auch zu ihrem eigenen Nutzen verwendet werden.

Im Anschluss an den Vortrag fand eine angeregte Diskussion statt.

Anhang: <media 29823>Biopatentierung am Scheideweg</media>

Details

18.06.2008, 18:00 Uhr - 20:00 Uhr
Ort: Schloss Mickeln, Blauer Salon
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