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Werkstattgespräch: Das neue türkische Gesetz zum gewerblichen Rechtsschutz

CIP Werkstattgespräche

Werkstattgespräch: 22.11.2017 (Haus der Universität)

Das neue türkische Gesetz zum gewerblichen Rechtsschutz (Sınai Mülkiyet Kanunu - SMK) 

Referent: Herr Dr. Kaya Köklü, Rechtsanwalt und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz

 

I. Am Mittwoch, den 22.11.2017, referierte Herr Dr. Kaya Köklü, Rechtsanwalt und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Werkstattgespräche“ des Zentrums für Gewerblichen Rechtsschutz über das neue türkische Gesetz zum gewerblichen Rechtsschutz (Sınai Mülkiyet Kanunu - SMK).

Um die wirtschaftliche Bedeutung der Türkei zu verdeutlichen, stellte Herr Köklü an den Beginn seines Vortrages einige „Zahlen“. Er hob in diesem Zusammenhang hervor, dass die Türkei mit einer Einwohnerzahl von ca. 80 Millionen Einwohner etwa vergleichbar mit Deutschland sei. Während der Altersdurchschnitt in Deutschland über 40 Jahren liege, betrage dieser in der Türkei lediglich 29,9 Jahre. Mit Blick auf das Bruttoinlandsprodukt führte er aus, dass dieses im Jahr 2017 etwas über 800 Milliarden USD betrage, wobei dies ein Wachstum von mehr als 5,1 % im Vergleich zum Jahr 2016 bedeute. Die Türkei zeichne sich außerdem durch eine im Vergleich sehr geringe Staatsverschuldung aus. Als aktuelle wirtschaftliche Probleme identifizierte Herr Köklü die hohe Inflation und Arbeitslosigkeit – diese lägen beide bei über 10 %. Als wichtige Wirtschaftssektoren führte er die Bauwirtschaft, die Automobil- und Pharmaindustrie sowie den Tourismus an und zeigte auf, dass eine Vielzahl deutscher Unternehmen wirtschaftlich in der Türkei tätig ist und teilweise sehr hohe Investitionen tätigt.

 

II. Nach dieser Einführung zeigte Herr Köklü auf, dass die Gesetzesnovelle notwendig geworden sei, da die bisherigen Regelungen zum Gewerblichen Rechtsschutz auf Rechtsverordnungen basieren, die im Jahre 1995 vor dem Hintergrund der Entstehung der Zollunion mit der Europäischen Union geschaffen wurden. Aufgrund dessen bestand ein allgemeines Modernisierungsbedürfnis. Außerdem zeigte sich eine Notwendigkeit zur Modernisierung vor dem Hintergrund, dass das türkische Verfassungsgericht erkannt hatte, dass strafrechtliche Konsequenzen eines Rechtsverstoßes sowie die Nichtigerklärung von Schutzrechten nicht aufgrund einer Rechtsverordnung erfolgen können.

 

III. Herr Köklü führte aus, dass im ersten Buch des SMK Regelungen zum Markenrecht, im zweiten Buch zu Geographischen Herkunftsangaben, im dritten Buch zu Designschutz und im vierten Buch zum Patentschutz enthalten seien. Das fünfte Buch enthalte gemeinsame Vorschriften. Herr Köklü betonte, dass das SMK keine Regelungen zum Urheberrecht enthalte, führte aber an, dass es diesbezüglich auch Reformbestrebungen gebe.

Herr Köklü führte mit Blick auf den Aufbau und die Grundzüge des Gesetzes aus, dass ein deutlicher Einfluss des EU-Rechts zu erkennen sei und Regelungen zu den Schutzvoraussetzungen, dem Schutzumfang und der Rechtsdruchsetzung weitgehend dem Standard der Europäischen Union beziehungsweise den TRIPS-Vorgaben entsprächen. Es gebe spezialisierte IP-Gerichtesowie mittlerweile drei Instanzen. Da auch weniger auf Sachverständige zurückgegriffen werden soll, stehe außerdem zu erwarten, dass die Dauer von Verletzungsverfahren kürzer werde. Er wies außerdem darauf hin, dass einstweilige Verfügungsverfahren und Grenzbeschlagnahmen eine effiziente Rechtsdurchsetzung gewährleisten.

IV. Anschließend ging Herr Köklü auf ausgewählte Neuerungen und Auswirkungen ein. Mit Blick auf die gemeinsamen Vorschriften des fünften Buchs des SMK wies er darauf hin, dass Art. 149 SMK Ansprüche bei Schutzrechtsverletzungen beinhalte, namentlich einen Feststellungs-, einen Unterlassungs-, einen Schadensersatz-, einen Beschlagnahme- und einen Vernichtungsanspruch. Er wies darauf hin, dass der Unterlassungsanspruch auch vorbeugend möglich sei und die Berechnung des Schadensersatzes gemäß Art. 151 SMK auf drei verschiedene Weisen möglich sei. Als Besonderheit hob er außerdem hervor, dass Art. 149 SMK im Falle einer Schutzrechtsverletzung einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an den verletzenden Produkten u.ä. vorsähe. Soweit dieser Anspruch geltend gemacht werde, was nach seiner Ansicht nur selten vorkommen dürfte, werde der Wert auf einen möglicherweise bestehenden Schadensersatzanspruch angerechnet. Für den Fall, dass die verletzenden Gegenstände höherwertiger seien als der Schadensersatzanspruch, bestehe eine Ausgleichspflicht des Rechteinhabers.

Herr Köklü wies auf eine weitere weitreichende Besonderheit hin. Durch Art. 152 SMK werde der bislang geltende nationale Erschöpfungsgrundsatz durch die internationale Erschöpfung, die für alle gewerblichen Schutzrechte gelte, ersetzt. Dies bedeute, dass Parallelimporte trotz in der Türkei bestehender Schutzrechte möglich seien, soweit die konkreten Produkte durch den Rechteinhaber oder einen von ihm Berechtigten irgendwo auf der Welt rechtmäßig auf den Markt gebracht wurden. Diese Neuerung sei insbesondere für den Pharmabereich und exklusive Konsumgüter relevant. Nach Art. 152 Abs. 2 SMK gelte davon eine Ausnahme, soweit die zu kommerziellen Zwecken importierten Produkte verändert oder verschlechtert wurden. Die Umverpackung von Waren unterfalle wohl nicht dieser Ausnahme. Diese Neuerung diene offensichtlich der Förderung der eigenen Wirtschaft und solle den Zugang zu günstigen Produkten sicherstellen.

Mit Blick auf die Klagebefugnis wies Herr Köklü darauf hin, dass gemäß Art. 158 SMK neben dem ausschließlichen Lizenzinhaber auch der einfache Lizenznehmer (im eigenen Namen) klagebefugt sein könne, wenn der Lizenzgeber bestehende Ansprüche gegen den Verletzer nicht innerhalb einer Dreimonatsfrist geltend macht. Als Regelungsziel dieser Vorschrift erkannte Herr Köklü die Disziplinierung des Lizenzgebers dahingehend seine Schutzrechte entweder durchzusetzen oder diese aufzugeben. Er solle nicht Lizenzgebühren für solche Schutzrechte „kassieren“, um deren Durchsetzung er sich nicht bemüht.

 

Im Bereich des Markenrechts ging Herr Köklü zunächst darauf ein, dass die Schutzfähigkeit einer Marke nach den Regelungen des SMK nicht mehr voraussetze, dass diese darstellbar ist. Dadurch sei nunmehr beispielsweise der Schutz von Bewegungsmarken möglich. Außerdem sei das Anmelde-, Veröffentlichungs- und Eintragungsverfahren beschleunigt worden. Die Widerspruchsfrist betrage zwei Monate nach Veröffentlichung der Anmeldung. Dadurch sei das bislang bestehende Problem bösgläubiger Markenanmeldungen entschärft worden, jedenfalls soweit die Markeninhaber ein Marken-Monitoring betreiben. Er wies außerdem darauf hin, dass eine Strafbarkeit nur noch für Fälle der Produktpiraterie bestehe, wobei das Strafmaß mindestens ein Jahr sei. Daneben drohten in diesem Fall auch drakonische Geldstrafen.

Das Gesetz regele nun auch ausdrücklich, dass eine (Lizenz-)Vertragsverletzung eine Markenrechtsverletzung sei. Dies sei insbesondere für den Fall etwaiger Überproduktionen im Bereich der Textilindustrie relevant.

Für den Fall, dass innerhalb eines Monats nach einer Berechtigungsanfrage keine Antwort gegeben werde, bestehe außerdem ein Rechtsschutzbedürfnis für eine negative Feststellungsklage. Diese Neuerung bewirke also ein Kostenrisiko für den Schutzrechtsinhaber.

Durch den neugeschaffenen Art. 25 Abs. 6 SMK bestehe außerdem kein Löschungsanspruch gegenüber einer jüngeren Marke, wenn der Schutzrechtsinhaber fünf Jahre Kenntnis von der eingetragenen Markte hatte oder Kenntnis hätte haben müssen. Herr Köklü hob hier den Unterschied zu Art. 61 UMV hervor, der einen Löschungsanspruch nur im Falle einer fünfjährigen Duldung trotz positiver Kenntnis ausschließe. Diese Regelung bewirke die Notwendigkeit eines Marken-Monitorings.

 

Weiter ging Herr Köklü auf ausgewählte Neuerungen im Bereich des Designrechts ein. Neu sei in diesem Bereich der Schutz des nicht-eingetragenen Designs. Wie in der GGV werde dieses drei Jahre lang geschützt. 

Nach Eintragung und Veröffentlichung bestehe eine Dreimonatsfrist für einen Widerspruch. In gleicherweise wie § 6 DesignG sehe Art. 57 Abs. 2 SMK eine zwölfmonatige Neuheitsschonfrist vor. Außerdem bestehe ein Vorbenutzungsrecht, das mit § 41 DesignG vergleichbar sei. Als Besonderheit wies er auf die Ersatzteilklausel in Art. 59 Abs. 4, 5 SMK hin, wonach die Herstellung und der Vertrieb von Ersatzteilen grundsätzlich keine Designverletzung darstelle, sofern das Produkt bereits seit drei Jahren auf dem Markt erhältlich sei. Eine Ausnahme von dieser Drei-Jahres-Regel bestehe für die Herstellung und den Vertrieb von Ersatzteilen, die vom Wissenschafts-, Industrie- und Technologieministerium in eine Liste aufgenommen werden. Eine solche Ausnahme von der Drei-Jahres-Regel bestehe etwa für sichtbare, karosserieintegrierte Ersatzteile. Als problematisch empfand Herr Köklü, dass dazu auch Felgen zählten.

 

Im Bereich des Patentrechts wies Herr Köklü auf das Bestehen einer zwölfmonatigen Neuheitsschonfrist hin. Das bislang existierende siebenjährige (ungeprüfte) Patent wurde abgeschafft, mit der Folge, dass nunmehr lediglich das geprüfte Patent und das Gebrauchsmuster existiere. Art. 141 Abs. 2 SMK habe außerdem die Beweislast für Verfahrenspatente angepasst, die nunmehr vergleichbar mit § 139 Abs. 3 PatG sei. Als erstaunlich empfand Herr Köklü, dass die Patentierbarkeit einer zweiten medizinischen Indikation nicht ausdrücklich kodifiziert wurde, obwohl die Rechtsprechung deren Schutzfähigkeit bislang bejaht hatte. Hier bestehe nunmehr eine gewisse Rechtsunsicherheit, da möglicherweise der Wille des Gesetzgebers derart gedeutet werden könne, dass er bewusst deren Schutz nicht vorsah. Herr Köklü wies außerdem darauf hin, dass keine ergänzenden Schutzzertifikate bestehen und im Falle einer Nichtigerklärung eines Patents gezahlte Lizenzgebühren gemäß Art. 139 Abs. 2 b SMK nicht zurückgezahlt werden müssen. Im Falle einer Patentverletzung bestünden außerdem keine strafrechtlichen Konsequenzen.

 

V. Zusammenfassend stellte Herr Köklü fest, dass mit dem SMK eine längst überfällige Modernisierung der Vorschriften zum Gewerblichen Rechtsschutz vollzogen wurde. Aus der Sicht der Türkei werde mit dem SMK insbesondere die eigene Wirtschaft gefördert und – durch die Einführung der internationalen Erschöpfung – der Zugang zu günstigen Produkten gewährleistet. Aus Perspektive deutscher Unternehmen seien insbesondere die Schutzmöglichkeiten gegen bösgläubige Schutzrechtsanmeldungen und Rechtsverletzungen zu begrüßen. Aus Sicht deutscher Unternehmen negativ seien hingegen die Einführung der internationalen Erschöpfung sowie die Regelungen zum Ersatzteile-Markt.

 

VI. An das Ende seines Vortrages stellte Herr Köklü einen Ausblick. Mit Blick auf die Reform des Urheberrechts im Jahr 2018 erwarte er ebenfalls die Einführung einer internationalen Erschöpfung. Außerdem erwarte er eine Erweiterung der Zollunion zwischen der Europäischen Union und der Türkei, insbesondere für den Fall, dass Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten zu Stande kommen sollten. In diesem Fall dürfe die Türkei, wegen der Bindung an die Zollbestimmungen der EU, nämlich keine eigenen Zölle gegenüber diesen Drittstaaten erheben, die Drittstaaten wären allerdings frei Zollgebühren für Exporte aus der Türkei zu verlangen. Eine mögliche Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union sah Herr Köklü aus kurz- und mittelfristiger Perspektive als eher unwahrscheinlich an. 

 

An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an, in deren Rahmen insbesondere auch Aspekte der internationalen Erschöpfung näher in den Blick genommen wurden.

 

Wiss. Mit. Benedikt Walesch

Details

22.11.2017, 18:00 Uhr - 21:00 Uhr
Zentrum für Gewerblichen Rechtsschutz
Ort: Haus der Universität, Raum 4a, 3. OG, Schadowplatz 14, 40212 Düsseldorf
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